Ein Gespenst geht um: Seit nunmehr sechs Jahren geistert die Messenger-App Snapchat durch die Schlagzeilen. Zunächst als Sexting-Tool für Teenager: Verschickte Bilder lösten sich schließlich wie in einem Mission Impossible-Film als selbstzerstörende Nachricht auf.

Dann verwandelten die Gründer Evan Spiegel und Bobby Murphy den Messenger mit der Einführung der Stories-Funktion in ein hippes Netzwerk für die Smartphone-Generation, die von Facebook gelangweilt war. Der Clou: Eine Snapchat-Story, bestehend auf Foto- und Video-Schnipseln, ist nur für 24 Stunden sichtbar. 166 Millionen Nutzer sind heute bereits täglich auf der App mit dem Geister-Logo aktiv.

Vor zwei Jahren erweiterte Snapchat die Stories-Funktion um ein neues Feature namens Discover, das vor allem für die Medienbranche gedacht war: Seit Anfang 2015 können in den USA Medienunternehmen wie ESPN, CNN, Vice oder National Geographic ebenfalls Stories posten.

Snapchat Discover startete im April in Deutschland mit Bild, Spiegel Online, Sky und Vice

Nach anfänglicher Zurückhaltung hat Snapchat Discover nun auch in Deutschland eingeführt: Seit April verbreiten Bild, Spiegel Online, Sky und Vice bei Snapchat Story-Häppchen im Vertikal-Format. Konkret sieht das so aus: „Hallo? Hallo? Fuuuuu…“ ist etwa bei der Story von Bild zu lesen, die dann „lebensrettende Tipps für den iPhone-Akku“ liefert. Spiegel Online will auf Snapchat erklären, was wirklich gegen Fernweh hilft, während das Popkultur-Portal Vice wieder  mit 10 Fragen an Bordellbetreiber lockt, „die du dich niemals trauen würdest zu stellen“.

Das Discover-Format ist so aggressiv wie Snapchat selbst: Es blinkt und blitzt, Grafik-Elemente fliegen über das Display, Fotomontagen wechseln sich im Sekundentakt ab. Es geht darum, die kurze Aufmerksamkeitsspanne der jungen Zielgruppe zu erreichen, die zum überwältigenden Großteil jünger als 25 Jahre ist. Wer sich angesprochen fühlt, klickt am Rand der Discover-Story auf den „Lesen“-Pfeil, der dann zum eigentlichen Artikel führt – „10 Ideen für Regentage“ etwa bei Spiegel Online oder bei Bild.

Bild und Spiegel Online ziehen erste positive Zwischenbilanz

Lohnen soll sich die Snapchat-Präsenz für Verlage wie bei Facebook durch eine Beteiligung an den Werbeerlösen, die Stories werden schließlich alle zwei bis drei Snaps von Anzeigen unterbrochen. Die bei Snapchat Discover erzielten Umsätze werden zwischen dem US-Unternehmen und dem Medienpartner aufgeteilt, prozentuale Einzelheiten sind bislang nicht bekannt.

Gemessen an der Resonanz ziehen Launchpartner nach drei Monaten unterdessen ein erstes positives Fazit. „Im dritten Monat erreichen wir bereits mehr als zwei Millionen Nutzer und sehen stetiges Wachstum in allen Bereichen“, erklärt  Torsten Beeck, Leiter Social Media bei der Spiegel-Gruppe, auf Anfrage von Editorial Media.

„Die mehrheitlich weibliche und sehr junge Zielgruppe – 90 Prozent sind unter 24 Jahren – kommt meist mehrfach in der Woche, um den Discover-Kanal von Spiegel Online aufzurufen. Zusätzlich gibt es steigendes Interesse der Werbepartner, die innovativen Formate zu buchen, so dass auch auf der Erlösseite ein positiver Trend zu erkennen ist“, resümiert Beeck.

Auch Bild ist drei Monate nach dem Start nicht unzufrieden.  „Wir orientieren uns bei Snapchat Discover mit unseren Editionen thematisch und in der Tonalität an unserem jungen Publikum“,  erklärt Jakob Wais, Head of New Platforms Content Strategy bei Bild, gegenüber Editorial Media. „Unser Ziel ist es, eine loyale Zielgruppe mit jungen Usern aufzubauen, die mit der Marke Bild mutmaßlich zum ersten Mal in Kontakt treten. So haben im Juni 2017 rund 2,6 Millionen Unique-User den Snapchat Discover-Kanal von Bild genutzt“, so Wais.

Lohnt der Aufwand?

Andere Verlage waren skeptischer, ob sich der kostenintensive Produktionsaufwand – die Stories müssen von Motion Designern erst in das Snapchat-typische Format gebracht werden –  wirklich auszahlt.  „Wir haben uns dagegen entschieden, als Launchpartner von Snapchat Discover in Deutschland dabei zu sein. Der Aufwand im Verhältnis zum möglichem Ertrag ist für uns zu hoch“, erklärte etwa Burdas Managing Director Nina Zimmermann gegenüber dem Medienportal MEEDIA die Abwesenheit der Münchner zum Start.

Am Ende hängt die Präsenz bei Snapchat auch noch von einem anderen Faktor ab – der Beliebtheit der App selbst. Seit die Facebook-Tochter Instagram vor einem Jahr selbst das Story-Format eingeführt hat, ist Snapchats Mitglieder-Wachstum deutlich abgeflacht. Der Snapchat-Hype droht zu verfliegen. Für Verlage bleibt die Trend-App damit bislang vor allem ein kunterbunter Testballon. Ob Snapchat der Königsweg der Social Distribution, die Axel Springer-CEO Mathias Döpfner einst als „Vertriebsweg der Zukunft“ bezeichnete, ist, muss sich also noch herausstellen.

Studierende haben kaum Interesse an Snapchat Storys

Eine erste Studie zur Storys-Nutzung fällt unterdessen nicht unbedingt hoffnungsvoll aus. Wie der Verein Marketing zwischen Theorie und Praxis e.V. (MTP) in einer Untersuchung unter 341 Studierenden festgestellt hat, werden die Story-Bemühungen der Verlage noch kaum wahrgenommen, berichtet Horizont. 74 Prozent der Umfrageteilnehmer haben Snapchat Discover nämlich noch nie verwendet, während 73 Prozent auch überhaupt keinen Mehrwert in der Funktion sehen.

Allerdings: 77 Prozent der Studienteilnehmer geben an, sich auf den Nachrichtenportalen direkt zu informieren. Das beste Umfeld für hochwertige Inhalte bleibt also auch in Zeiten von Snapchat & Co das eigene redaktionelle Angebot…

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.