Ist es egal, in welchem redaktionellen Umfeld eine Werbebotschaft eingebettet ist? Glaubt man den Versprechungen des Programmatic Advertising, scheint das Umfeld keine Bedeutung zu haben. Wichtig sei nur, die richtigen Zielpersonen zu identifizieren – was durch Cookies und Algorithmen perfekt möglich sei. Diese Personen bekämen dann irgendwann und irgendwo einen Werbekontakt zugespielt. So weit, so gut. Aber wie sieht es mit der Werbewirkung aus? Sicherlich ist die Ansprache der richtigen Zielgruppe ein wichtiger Erfolgsfaktor einer wirksamen Kampagne. Doch zeigen viele Studien, dass das Umfeld die Wirkungschancen erhöhen kann. Psychologie und Kommunikationswissenschaft  erklären uns, wie dieser Mehrwert des Umfeldes zustande kommt.

Die Beschäftigung mit einem Medieninhalt verändert den aktuellen Zustand des Rezipienten: Seine kognitive Aufmerksamkeit, seine körperliche Aktivierung, die wahrgenommene emotionale Verfassung, der Modus der Informationsverarbeitung – alles das wandelt sich während der Lektüre eines Magazins, dem Besuch einer Website oder dem Ansehen einer Fernsehsendung. Diese veränderte Verfassung beeinflusst, wie Werbung in dem jeweiligen Umfeld wahrgenommen und verarbeitet wird. Da gibt es zum Beispiel das Modell der Attentional Inertia – auf Deutsch: Die Trägheit der Aufmerksamkeit. Wenn wir uns über einen längeren Zeitraum auf etwas fokussieren, steigt unsere Aufmerksamkeit auf ein höheres Niveau. Wenden wir uns der Werbung zu, profitiert deren Verarbeitung von dem zuvor aufgebauten Aufmerksamkeits-Niveau. Die Chancen, dass die Werbebotschaft mit erhöhter Aufmerksamkeit verarbeitet und dadurch besser erinnert wird, steigen durch ein aufmerksam gelesenes oder gesehenes redaktionelles Umfeld.

Umfeld und Werbewirkung

Die Kommunikationswissenschaftler kennen ebenfalls sogenannte Framing-Effekte. Wir verarbeiten Informationen oft nach einem bestimmten Schema. Wenn bei einem Leser eines journalistischen Beitrages das Schema „glaubwürdige Quelle“ aktiviert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die in diesem Umfeld dargebotene Werbebotschaft mit Hilfe des gleichen Schemas verarbeitet wird. Die Werbung wird als glaubwürdiger eingeschätzt.

Besonders gut erforscht sind Umfeldeffekte und emotionales Erleben. Durch verschiedene psychische Mechanismen kann ein Umfeld unsere Gefühle oder unsere Stimmung verschlechtern oder – was häufiger vorkommt – verbessern. Stimmungen sind beim Verarbeiten und Lernen von Informationen wichtig. Zum Beispiel kann ein durch ein Umfeld ausgelöstes Priming dazu führen, dass wir die folgende Werbung in eine ähnliche verarbeiten. Ein Beispiel: Ein Reisebericht bringt uns ein kleines Bisschen in Urlaubsstimmung, entsprechend wird die Werbung wahrgenommen. Wir sehen eher die Hinweise, die zur Urlaubsstimmung passen und können uns an diese später besser erinnern. Übrigens: Wenn Menschen in einer guten Stimmung sind, entscheiden sie schneller, bewerten Marken positiver und entwickeln weniger kritische Gedanken. Umfelder die eine gute Stimmung hervorrufen oder eine vorhandene aufrechterhalten, unterstützen dadurch die Werbewirkung.

Diese kurzen Beispiele zeigen: Es ist nicht egal, im welchem Umfeld Werbung gesehen wird. Denn das Umfeld kann einen Mehrwert in Sachen Wirkung bringen. Gerade qualitativ hochwertige redaktionelle Inhalte, mit denen sich die Rezipienten lange beschäftigen, liefern eine höhere Chance für solche Umfeldeffekte.

Quellen:

Fazio, Russell H.: On the automatic activation of associated evaluations: An Overview. Cognition and Emotion, 2001, 15 (2), S. 115–141
Mattenklott, Axel: Wirkung von Werbung im redaktionellen Kontext. In: Gabriele Siegert et al. (Hrsg.), Handbuch Werbeforschung, Wiesbaden 2016, S. 281 – 298
Richards, John E: Attentional inertia in children’s extended looking at television. In: Robert V. Kail (Hrsg.): Advances in child development and behavior Vol. 32, Amsterdam 2004, S. 163 – 212
Deppe, M., Schwindt, W., Pieper, A., Kugel, H., Plassmann, H., Kenning, P., Deppe, K. & Ringelstein, E.B. (2007):
Anterior cingulate reflects susceptibility to framing during attractiveness evaluation, In: Neuroreport, Nr.18(11), S. 1119-1123

Dirk Engel
Dirk Engel
Dirk Engel (48) ist Marktforscher und Hochschuldozent. Seit 2011 berät er Unternehmen bei Zielgruppenanalysen und Werbewirkungskontrollen. Außerdem lehrt er an der Akademie für Marketing-Kommunikation in Frankfurt und anderen Bildungseinrichtungen. Als Gastautor und Keynote-Speaker ist er in der Fachöffentlichkeit präsent. Seine Themen sind neben Werbewirkung auch Mediastrategie, Konsumentenverhalten, Psychologie und die Zukunft des Marketings. Bis 2011 war Dirk Engel Mediaforscher bei einer Mediaagentur und betreute dort viele nationale und internationale Studien. Seine regelmäßigen Kolumnen und Buchkritiken findet man auf www.kunden-wissen.de.