Zeitschriftenmarken nutzen unterschiedliche Medienkanäle. Dafür gibt es mindestens zwei gute Gründe. Erstens haben die Kanäle unterschiedliche Funktionen und führen teilweise unterschiedliche Inhalte. Eine Website mag zum Beispiel die schiere Nachricht nahezu in Echtzeit liefern, während das gedruckte Magazin später sorgfältig alle Hintergründe ausleuchtet. Zweitens geht es – bei identischen Inhalten – um unterschiedliche Zielgruppen und ihre jeweiligen Lesepräferenzen. Gemäß aktueller AWA lesen 61 Prozent der Bevölkerung längere Texte lieber auf Papier, knapp sieben Prozent bevorzugen einen Screen, und knapp 28 Prozent sind beide Oberflächen gleichermaßen recht. Redaktionen und Verlage sind demzufolge gut beraten, den Lesern mehrere Optionen einzuräumen.

Vorliebe für Papier nimmt langsam ab

Die einseitige Vorliebe fürs Papier nimmt im Zeitverlauf ab. Allerdings vollzieht sich der Wandel recht langsam. 2013 gaben rund 67 Prozent an, längere Texte lieber auf Papier zu lesen, 2017 waren es 61 Prozent. Um rund sechs Punkte von 22 Prozent auf 28 Prozent erhöht hat sich der Anteil derjenigen, die keinen Unterschied machen.

Träger des Wandels sind – nicht überraschend – die Jungen. Doch es erstaunt schon, wie groß die Generationenkluft ist. Unter den Millenials, also den 14- bis 34-Jährigen, haben die Indifferenten mit 45 Prozent schon die relative Mehrheit, und weitere 13 Prozent bevorzugen selbst für längere Texte den Bildschirm. Bei den 35- bis 49-Jährigen, auch Generation X genannt, haben die Papierliebhaber eine absolute Mehrheit, doch fällt sie mit 53 Prozent niedriger als in der Gesamtbevölkerung aus. Doch dann: Unter den Baby Boomern, den geburtenstarken Jahrgängen, die heute zwischen 50 und 69 Jahre alt sind, kommt das Papier auf eine Dreiviertelmehrheit. In der Altersgruppe 70 plus beträgt die Mehrheit sogar fast 90 Prozent.

Viel Spekulatives,  wenig gesichertes Wissen

Für eingefleischte Disruptionstheoretiker ist so viel Beharrungsvermögen ein Ärgernis. Zum Beispiel gab kürzlich der Berater Frederic Filloux der New York Times öffentlich den dringenden Rat, doch endlich die papierene Werktagsausgabe einzustellen. Die Verlagsführung, so sein Verdacht, verpasse aus romantischer Liebe zur Druckerschwärze den richtigen Zeitpunkt für einen solchen Schritt. Gut möglich aber auch, dass die New York Times die Leserstrukturen und Renditen ihrer werktäglichen Printausgabe gut kennt, die letztes Jahr immerhin noch 571.500 Exemplare verkauft hat. Wobei: Ein Wunder wäre es ja nicht, wenn die Digitalisierung der Presse in den USA schneller als in Deutschland voranginge. Anders als bei uns stellen nämlich die Millenials in den USA schon vor den Baby Boomern die größte Altersgruppe.

US-Autoren wie Nicholas Carr sorgen sich, dass mit dem Papier die Fähigkeit zum „deep reading“ zurückgehen könnte. Sascha Schroeder vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin teilt diese Sorge aber nicht. Gegenüber Spiegel online gibt er zu bedenken: „Tatsächlich wissen wir sehr wenig darüber, was beim Lesen im Gehirn abläuft und ob die neuen Medien und Leseplattformen überhaupt etwas verändern. Das sind bislang vor allem Spekulationen.“

Die Digitalisierung wird gewiss diesseits wie jenseits des Atlantiks weitergehen, ohne freilich das Papier vollständig zu verdrängen.

 

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.