Das Jahr geht auf die Zielgerade: 2017 war vor allem politisch ein turbulentes Jahr – was sich auch im Leserinteresse von Qualitätsmedien widerspiegelt. Online-Kiosk Blendle, der seit 2015 auf seiner Website die Zeitungen und Zeitschriften aller großen Verlage am Tag des Erscheinens digital vertreibt, hat Editorial Media noch vor dem 31.12.2017 einen Blick auf das Ranking der bestverkauften Artikel des Jahres gewährt.

Wenig überraschend werden die Blendle-Jahrescharts Stand Anfang Dezember von einer Reportage angeführt, über die nach der Bundestagswahl alle sprachen: „Die Schulz-Story“, wie das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel seine Titelgeschichte Anfang Oktober schlicht betitelte.

Schulz-Story mit Abstand bestverkaufter Artikel des Jahres

Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen hat in seiner 14 Seiten langen Reportage ein denkwürdiges Kapitel Politgeschichte geschrieben: Bei über 50 Terminen begleitete der 42-Jährige den SPD-Kanzlerkandidaten – in besseren Tagen im Frühling, als der Schulz-Hype aufflackerte, bis in die dunkle Endphase des Wahlkampfes, als es nur noch um Schadensbegrenzung ging und man von einem frustrierten Kanzlerkandidaten liest, der bei Currywurst mit Pommes und Mayo Sätze sagte wie: „Ich habe regelrecht Scheiße am Schuh.“

„So etwas funktioniert ja nur mit Zugängen. Und mit Ernsthaftigkeit. Und wenn beide Seiten glauben, dass Politik, dass überhaupt Macht sich nicht abschotten darf“, erklärt Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer später, wie es zu der denkwürdigen Reportage kam, die es bisher in dieser Form noch nicht in der deutschen Medienlandschaft gegeben hat.

Ob sich der weiterhin amtierende SPD-Chef mit dem Blankoscheck an Feldenkirchen politisch einen Gefallen getan hat, bleibt fragwürdig – ausgerechnet die Bild-Zeitung schlachtete im Nachgang an die Spiegel-Story genüsslich die vermeintlich enthüllendsten Passagen aus. Gewinner sind unterdessen fraglos die Spiegel-Leser, die einen intimen sowie menschlichen Einblick in den Bundestagswahlkampf und das Innenleben eines Kanzlerkandidaten gewonnen haben wie nie.

Suche nach einem guten Leben, aber auch den Abgründen beschäftigt Leser

Auf den weiteren Plätzen der Blendle-Top Ten befinden sich zusätzliche Politik-Artikel: Philosoph Richard David Precht erörtert im Stern-Interview, das zum achtbestverkauften Artikel des Jahres avancierte, die Gründe für den Aufstieg der AfD, während aus dem gleichen Verlagshaus Neon-Autor Marco Maurer die zehnterfolgreichste Story gelang. Undercover machte sich der Journalist auf eine Leserreise eines Rechtsblogs nach Israel und schilderte seine Eindrücke in der Reportage „Auf die rechte Tour“.

Interessante Erkenntnis der weiteren Top Ten-Platzierungen: Leser interessierten sich in Qualitätsmedien in den vergangenen zwölf Monaten vor allem für Alltagsthemen rund um die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens. Ein Interview über das richtige Maß des Alkoholkonsums (Zeit Magazin) und Hautpflege (Galore) oder Reportagen über Kopf-oder-Bauchentscheidungen (GEO) und die hohe Kunst des Lernens (Welt am Sonntag) beziehungsweise die Zufriedenheitsstrategie von Bestsellerautor Rolf Dobelli („Die Kunst des guten Lebens“) über die „mentale Substraktion“ beschäftigten Artikelkäufer. Auch das älteste Thema der Welt fasziniert Leser weiterhin: Ob in den Bekenntnissen eines Escort-Girls in der Welt oder in einem Sex-Tagebuch in Neon.

Das sind die Top Ten der bestverkauften Artikel bei Blendle 2017:
  1. Mannomannomann“: Die Schulz-Story im Spiegel
  2. Wer zu viel seift, stinkt“: Interview mit Autorin und Dermatologin Yael Adler aus der Galore
  3. Alkohol“: Interview mit zwei Alkoholforschern aus dem Zeit Magazin
  4. Männer haben unglaublich schlechten Sex im Puff“: Das Protokoll einer ehemaligen Prostituierten aus der Welt
  5. Eine Übung, die das schwere Ich befreit“: Eine Anleitung zur „mentalen Subtraktion“ als Zufriedenheitsstrategie aus der NZZ
  6. Wie man das Lernen besser lernt“, Welt am Sonntag
  7. Ich zähl‘ bis 100“, Neon
  8. Wie Heinz Erhardt“, Richard David Precht zur Bundestagswahl, Stern
  9. Kopf oder Bauch“, GEO
  10. Auf die rechte Tour“, Neon

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.