Müller, Meier und Bauer treffen sich in der Kantine. Bauer eröffnet das Gespräch: „Habt ihr schon Budget beantragt?“ Müller nickt. „Ich brauche weniger als letztes Jahr. Der Markt ist gesättigt, und für kurzfristige Marktanteilsgewinne will ich kein Geld verpulvern.“ Darauf Meier: „Das trifft sich gut. Ich habe drei neue Produkte in der Pipeline, und im September machen wir die erste Filiale in China auf. Da kann ich jeden Cent gebrauchen.“ Als Meier gegangen ist, nimmt Bauer den sparsamen Müller zur Seite: „Bist du verrückt? Was einmal weg ist, kommt nie mehr zurück.

Besitzstandsdenken unter Marketingleitern

Diese Art von Besitzstandsdenken ist unter Marketingleitern noch immer weit verbreitet. Aus Sicht einzelner Länder, Marken und Geschäftseinheiten ist es auch verständlich. Aber mit Blick auf das ganze Unternehmen ist es fatal. So lange die Verteilung des Marketingbudgets sich an alten Machtstrukturen und Gewohnheiten orientiert, wird auch der MROI stagnieren oder schwinden. Damit er steigt, muss das Marketingbudget wie ein Investmentportfolio gesteuert werden. Wo sind die größten Chancen? Welche Märkte wachsen? Welche Marken haben noch Luft nach oben? Wo steht die Markteinführung vielversprechender neuer Produkte an? Wo hat sich ein Wettbewerber aus dem Markt zurückgezogen?

Chancenbasierte Budgetierung

Damit Marketing-Investitionen sich auszahlen, sollte die Verteilung des Budgets sich an solchen Wachstumschancen orientieren. Starre Allokationsschlüssel sind dafür nicht geeignet. In vielen Branchen ändern die Bedürfnisse der Kunden sich immer schneller, und die Digitalisierung wirbelt ganze Industrien durcheinander. Deshalb müssen Prioritäten und Ziele in jedem Planungszyklus überprüft und nötigenfalls auch unterjährig angepasst werden. Immer häufiger sind die Wachstumschancen nämlich gut versteckt, sei es in irreführenden Durchschnittswerten, sei es im Gewimmel der Umsatzzwerge, die in Summe manchen Riesen überragen.

Richtige Klassifizierung von Märkten, Marken und Produkten

Bisher haben viele Strategen sich darauf beschränkt, Märkte, Marken und Produkte in wenige Kategorien wie „Wachstum“ und „Reife“ einzusortieren, und in der Regel wurden solche Klassifizierungen nur alle paar Jahre überprüft. Inzwischen arbeiten führende Unternehmen teils mit hunderten oder sogar tausenden Mikrozellen, denen mit Hilfe von Advanced Analytics je nach Wachstumspotenzial Budget zugewiesen wird. Die Definition und Bewertung solcher Wachstumszellen sollte sich nicht an der Organisation des Unternehmens, sondern an der jeweiligen Marktdynamik orientieren. Beim Umgang mit den dabei anfallenden Datenmengen helfen moderne Software-Lösungen, die Wachstumsprognosen nötigenfalls bis auf einzelne Produktkonfigurationen, Stadtviertel und Kalenderwochen herunterbrechen.

Von der Planwirtschaft zum Wettbewerb der Ideen

Um das Prinzip chancenbasierter Budgetallokation dauerhaft zu etablieren, ist ein Bewusstseinswandel unabdingbar. Wer freiwillig Budget abgibt, darf dafür in der nächsten Planungsrunde nicht bestraft werden. Wer eine große Chance aufspürt und diese mit überzeugenden Zahlen belegen kann, muss die nötigen Mittel bekommen, um den Schatz auch zu heben. Letztlich obliegen solche Entscheidungen dem CFO oder dem CEO. Aber CMOs und Marketing-Leiter können zum Umdenken beitragen. Statt dem Vorstand ihren Budgetbedarf mitzuteilen, sollten sie ihre Pläne als Investitionsideen präsentieren. Und wenn die Vergabekriterien klar sind, bleibt das Budget auch trotz variabler Verteilung auf viele verschiedene Zellen berechenbar.

Mehr zum Thema finden Sie in dem Buch Marketing Performance (ISBN 978-1-119-27829-0).

Der Autor

Thomas Bauer
Thomas Bauer
Dr. Thomas Bauer ist Partner bei McKinsey & Company und berät führende Marken in B2C-Industrien zu Marketing- und Sales-Themen. Sein Themenfokus liegt auf Programmen zur Verbesserung der Marketingeffektivität und Markenführung.