Es gibt viele Kriterien, um den Erfolg der New York Times (NYT) zu messen – Pulitzerpreise, Starautoren, Auflagenzahlen. Seit 169 Jahren steht die New York Times für Qualitätsjournalismus der obersten Kategorie: Die „Gray Lady“ gilt bis heute für viele Leser als die beste Zeitung der Welt.

Allein: Auch der Goldstandard der Branche kann schon mal ins Schlingern geraten. Wie viele Unternehmen hat auch die NYT den Aufbruch ins digitale Zeitalter eher vorsichtig angetreten und sich zu lange auf die jahrhundertelangen Errungenschaften des Kernprodukts verlassen. Dann kam Thompson.

Mark Thompson: BBC-Manager leitet NYT-Turnaround nach Finanzkrise ein

Nach der großen Finanzkrise 2008/9 lag der Branchenprimus am Boden: Der Schuldenberg hatte sich auf mehr als eine Milliarde Dollar aufgetürmt, der prestigeträchtige New York Times Tower an der West 43rd Street wurde nur zwei Jahre nach der Fertigstellung verkauft und wieder zurückgemietet, Entlassungen in dreistelliger Höhe wurden ausgesprochen, die Aktie war auf ein 20-Jahrestief abgestürzt.

Nach Jahren des Niedergangs verpflichtete die Renommee Zeitung 2012 einen Outsider als CEO: den langjährigen BBC-Manager Mark Thompson. Der seinerzeit 55-Jährige fand ein Unternehmen im tiefsten Krisenmodus vor, das die digitale Transformation zu verschlafen drohte. „Das größte Alarmzeichen, das ich blinken sah, waren die nachgebenden Online-Abonnentenzahlen“, erinnert sich Thompson gegenüber McKinsey.  Die Zahl der neuen Digitalabonnenten fiel von 74.000 im vierten Quartal 2012 auf nur noch 23.000 im zweiten Quartal 2013 – fatal für ein Segment, das als Hoffnungsträger dienen sollte.

Online first: fast zehnmal mehr Digitalabonnenten in zehn Jahren

Als Thompson seine Amtszeit im November 2012 begann, verbuchte die New York Times insgesamt 1,8 Millionen Abonnenten, davon lediglich 0,6 Millionen zahlende Leser des Digitalangebots. Acht Jahre später konnte die NYT dank ihrer erfolgreichen Digitalstrategie für die Generation Smartphone allein im Juni-Quartal mehr Digitalabonnenten verbuchen: 669.000 neue Leser zahlten allein zwischen April und Juni erstmals für das Onlineangebot.

„Wir haben die besten Zahlen für neue Digitalabonnenten vorgelegt“, freute sich Mark Thompson bei Präsentation der Quartalsbilanz Anfang August 2020. Auf insgesamt 5,7 Millionen Digitalabonnenten bringt es die NYT inzwischen. Thompson ist mit seiner großen Wette auf das Onlineangebot das Kunststück gelungen, in lediglich acht Jahren die Zahl der zahlenden Digital-Only-Leser fast zu verzehnfachen. Die für 2025 ausgegebene Marke von 10 Millionen Abonnenten erscheint angesichts des aktuellen Wachstumstempos bereits Jahre früher erreichbar.

Digitalumsätze erstmals größer als Printerlöse

Und mehr noch: Mark Thompson konnte bei Bilanzvorlage ein weiteres historisches Ereignis verkünden: „Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben die Digitalumsätze in der Gesamtheit (Abo- und Werbeumsätze zusammengenommen) die Printerlöse übertroffen – ein Meilenstein in der Transformation der New York Times und ein Beleg dafür, wie viel wir in den vergangenen acht Jahren erreicht haben“, erklärte der heute 63-jährige Brite.

Für Thompson ist es gleichzeitig der Schlusspunkt als CEO der New York Times Company – am 8. September übernimmt die bisherige Werbechefin Meredith Kopit Levien den Vorstandsvorsitz. Thompson verlässt den Chefsessel nach einer der bemerkenswertesten Turnaround Stories der jüngeren Mediengeschichte auf dem Höhepunkt: Unter seiner Ägide haussierte die Aktie der New York Times Company an der Wall Street um mehr als 400 Prozent und knackte zuletzt im August ein 17-Jahreshoch.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.