Die beiden vergangenen Jahre waren nicht die einfachsten für Verlage: Die Corona-Pandemie hat die Welt– und Medienwirtschaft geschockt und in Atem gehalten. Doch das Auslöschungsereignis“, das einige Branchenbeobachter der Verlagsbranche im ersten Schock schon bescheinigt hatten, blieb aus. Im Gegenteil: Wie schnell sich das Verlagsgeschäft im Comeback-Jahr 2021 erholte, machte etwa Platzhirsch New York Times mit anhaltend starkem Wachstum deutlich.

Der Aufwärtstrend ist branchenweit zu beobachten, wie das Reuters Institute im neuen Journalismus-Trendreport skizziert, dem eine Umfrage des Oxford Institutes unter 246 Führungskräften aus 52 Ländern in der Medienbranche zugrunde liegt. Demnach berichteten 59 Prozent der befragten Verlagsentscheider über eine anziehende Umsatzentwicklung im vergangenen Jahr, obwohl gleichzeitig 54 Prozent eine stagnierende oder gar rückläufige Reichweitenentwicklung der Online-Angebote ausgemacht haben.

Umsätze ziehen durch Anzeigen und Abonnenten an

Auslöser für die Erlössteigerungen im vergangenen Jahr war die Verquickung von nachhaltig steigenden Abonnementerlösen und einem wieder deutlich anziehenden Anzeigengeschäft. Vor allem Digitalwerbung boomte und erlebte nach einer Erhebung von GroupM mit einem Umsatzplus von gleich 30 Prozent die stärksten Zuwächse seit Beginn der Reuters-Studie. Die mit digitalen Anzeigen erzielten Erlöse machen inzwischen bereits 64 Prozent aller Werbeumsätze aus.

Entsprechend optimistisch gehen Verlagsentscheider ins Jahr 2022: 75 Prozent der befragten Chefredakteure, CEOs und Digital-Führungskräfte äußerten sich in der Reuters-Umfrage „zuversichtlich“ zu den Perspektiven ihres Unternehmens im neuen Geschäftsjahr. Die oberste Priorität zur weiteren Umsatzgewinnung liegt dabei für gleich 79 Prozent der Befragten beim Ausbau der Abonnentenstrategie, gefolgt vom Werbegeschäft in Form von Display und Native Advertising. Weitere Erlöse versprechen sich 29 Prozent der befragten Publisher durch das Lizenzierungsgeschäft ihrer Inhalte an Internet- und Tech-Plattformen, während 15 Prozent mit steigenden Zuflüssen von philanthropischen Fonds und Stiftungen rechnen.

Qualitätsmedien können von Big Tech Werbeumsätze und Talente zurückerobern

Gleichzeitig mutmaßen Verlagsentscheider, dass Qualitätsmedien gegenüber Big Tech wegen zunehmender Regulierungen und verschärftem politischen Gegenwind gute Karten haben, verlorene digitale Werbeerlöse und Top-Personal zurückzuerobern. „Strengere Datenschutzbestimmungen und Bedenken über Fehlinformationen haben bereits dazu geführt, dass das Pendel zu vertrauenswürdigen Medienmarken zurückschwingt“, schreibt Studienleiter Nic Newman.

Auf dem absteigenden Ast sehen Verlagsmanager entsprechend auch im Anwendungsszenario zwei Social Media-Pioniere, die in den vergangenen Jahren immer wieder am Pranger standen: Publisher wollen Facebook und Twitter 2022 weniger Beachtung schenken. Deutlich mehr Aufmerksamkeit verdienen dagegen nach Einschätzung der journalistischen Entscheider die jüngeren sozialen Netzwerke Instagram, TikTok sowie Web 2.0-Pionier YouTube.

Weitere Wette auf Podcasts und Newsletter

In der journalistischen Praxis wollen Medienmanager in diesem Jahr ergänzend zum redaktionellen Angebot verstärkt Ressourcen für zwei große Trends der vergangenen Jahre aufwenden: Podcasts und Digitalaudio-Angebote (80 Prozent) sowie Newsletter (70 Prozent). Voice-Anwendungen und neue VR- und AR-Angebote für das Metaverse stehen indes nur bei 14 bzw. 8 Prozent der Befragten oben auf der Agenda.

Zunehmende Beachtung wollen die Digitalentscheider in diesem Jahr den sogenannten „Content Creators“, also Influencern von TikTok, Instagram & Co., und ihren Erfolgsformaten schenken, die auch bei digitalen Nachrichtenangeboten an Relevanz gewinnen könnten. Insbesondere Kurzvideos, die in der vergangenen Dekade schon einmal kurz populär waren, könnten eine Renaissance erfahren. Auch eine Konsolidierungswelle, bei der Digitalverlage fusionieren und übernommen werden könnten, wird von Verlagskoryphäen im Reuters-Report als Trend in der Nachrichtenindustrie 2022 ausgemacht.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.