Interview mit Dirk Engel, Marktforscher, Hochschuldozent und Medienexperte

Als Ursache für ein steigendes Brand Safety-Risiko gelten vor allem nutzergenerierte Inhalte, Programmatic Advertising und Fake News. Wie schätzen Sie das Risiko für Werbekunden ein?

Wenn man das Thema aus Sicht der Nutzer betrachtet, relativiert sich das Risiko zunächst einmal: Menschen schauen sich solche Inhalte an, die sie interessieren, faszinieren oder die für sie nützlich sind. Wer absichtlich die Website eines Online-Casinos, eines rechtsradikalen Blogs oder einer Porno-Seite besucht, nimmt diesen Inhalt nicht als gefährlich wahr, sonst würde er ihn nicht nutzen.

Solche Nutzer kaufen selbstverständlich auch „normale“ Produkte, warum sollten ihnen dafür keine Werbebotschaften gezeigt werden? Hier sei das alte Sprichwort bemüht: Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Als Marketingverantwortlicher mag mir ein Umfeld nicht gefallen, doch kann es das richtige für meine Zielgruppe sein.

Aus Sicht der Werbungtreibenden kommt aber noch ein anderer Aspekt hinzu: Eine Gefahr besteht darin, dass Medien darüber berichten, wenn eine Marke auf zwielichtigen Websites wirbt und diese damit mitfinanziert. In den Köpfen des breiten Publikums führt erst Berichterstattung zu der Verknüpfung der fragwürdigen Inhalte mit der Marke.

Bei den drei genannten Phänomenen des Werbegeschäfts sind die Risiken unterschiedlich:

Consumer Generated Content ist authentisch, aber nicht kontrollierbar. Marken, denen Authentizität wichtig ist, nehmen Schwankungen in der inhaltlichen Ausrichtung des Contents in Kauf.

Bei Programmatic Advertising ist eine Kontrolle der Umfelder grundsätzlich schwierig, allerdings bemühen sich einige Anbieter wie Facebook und YouTube, Schutzmechanismen zu etablieren.

Was „Fake News“ sind und was nicht, darüber wird kontrovers diskutiert. Hier könnte ein Werbungtreibender, der sich als Qualitätsanbieter versteht und nur in ebensolchen qualitativ hochwertigen Umfeldern erscheinen möchte, eine „Schwarze Liste“ erstellen. Auf der stehen dann solche Umfelder, deren redaktionelle Inhalte nicht den journalistischen Grundsätzen entsprechen.

Eines wird daraus klar: Brand Safety erfordert vom Werbungtreibenden viel Aufmerksamkeit, Kontrolle, Wachsamkeit, Nachdenken und bewusstes Entscheiden – alles Aktivitäten, die mit der Idee eines automatisierten, programmatischen Mediaeinkaufs schwer vereinbar sind.

Die Forderungen von Werbekunden nach besserem Schutz vor Markenschädigung werden lauter. Wird aus Ihrer Sicht genug von Seiten der Anbieter von Werbeumfeldern getan?

Die großen Anbieter wie YouTube und Facebook bemühen sich, weil sie merken, dass das Thema für viele ihrer Kunden kritisch ist. Sie arbeiten dabei mit automatisierten Prozessen, die aber nicht ausreichen. Die Sicherungsmaßnahmen haben zum Beispiel nicht gereicht, den Livestream zum Attentat von Christchurch rechtzeitig zu erkennen.

Pre-Bid-Technologien werden in der Praxis oft als unsicher eingestuft. Was kann Technologie auf Dauer leisten und wo bedarf es letztendlich menschlicher Expertise?

Das ist ein Dilemma, aus denen die Anbieter nicht herauskommen: Die Menge an zu prüfendem Content ist zu groß, um alles manuell bewältigen zu können. Aber der Content ist zu komplex für automatisierte Systeme. Künstliche Intelligenz wird künftig diese zwar verbessern, aber sie wird es nicht schaffen, „Fake News“ oder unangemessene Inhalte zu 100 Prozent zu identifizieren.

Das Risiko für Markenschädigung lässt sich bereits im Vorfeld bei der Auswahl der Umfelder eingrenzen. Welche Rolle spielen vor diesem Hintergrund journalistische Verlagsumfelder in der Mediaplanung?

Natürlich ist es immer besser, wenn man als Mediaplaner Umfelder wählt, die man kennt und deren Qualitätsmaßstäbe mit denen der beworbenen Marke korrespondieren. Nicht nur aus Sicherheitsgründen, denn Umfeldeffekte fördern die Werbewirkung. Früher gehörte es zur Berufsehre eines Mediaplaners, dass er die belegten Medien kannte und deren Inhalt beurteilen konnte. Das ist heute leider nicht mehr selbstverständlich.

Welche Empfehlung würden Sie Werbungtreibenden im Hinblick auf Brand Safety bei der Mediaplanung geben?

Als erstes müssen Unternehmen nachdenken, wie wichtig ihnen das Thema ist. Dann müssen sie im Dialog mit ihren Agenturen und Vermarktungspartnern klären, welche Schutzmaßnahmen sie bieten. Gegebenenfalls muss man die Zusammenarbeit mit einem Partner überdenken, wenn dessen Sicht des Themas nicht mit den eigenen Ansprüchen zusammenpasst.

Marken mit hohem Qualitätsanspruch profitieren sicherlich von hochwertigen redaktionellen Umfeldern, deshalb sollten hier langfristige Partnerschaften in Betracht gezogen werden. Marken, die andere Prioritäten setzen, sollten zumindest über umfangreiche „Black Lists“ und „White Lists“ nachdenken und Protokolle haben, die regeln, wie man Verdachtsfälle möglichst schnell bemerkt und dann angemessen reagiert. Die Verantwortung können die Werbungtreibenden nicht auf die Dienstleister und Medien abschieben, denn Markenpflege ist eine der wichtigsten Aufgabe im Marketing.

Veranstaltungs-Tipp:
Mehr zum Thema Brand Safety und die neusten Trends rund um das Thema Media Sales gibt es beim VDZ Digital Advertising Summit. Mehr Infos zur Veranstaltung.

Dirk Engel
Dirk Engel
Dirk Engel ist Marktforscher und Hochschuldozent. Seit 2011 berät er Unternehmen bei Zielgruppenanalysen und Werbewirkungskontrollen. Außerdem lehrt er an der Akademie für Marketing-Kommunikation in Frankfurt und anderen Bildungseinrichtungen. Als Gastautor und Keynote-Speaker ist er in der Fachöffentlichkeit präsent. Seine Themen sind neben Werbewirkung auch Mediastrategie, Konsumentenverhalten, Psychologie und die Zukunft des Marketings. Bis 2011 war Dirk Engel Mediaforscher bei einer Mediaagentur und betreute dort viele nationale und internationale Studien. Seine regelmäßigen Kolumnen und Buchkritiken findet man auf www.kunden-wissen.de.