Im Quartett der britischen General-Interest-Qualitätszeitungen erzielt die Times-Gruppe heute nicht nur den höchsten Umsatz, sondern auch den höchsten Gewinn. Das zeigt ein Vergleich mit den letzten verfügbaren Geschäftszahlen für die Marken Telegraph, Guardian und Independent (Tabelle unten).
Vor 15 Jahren, im Frühjahr 2010, hätte kaum jemand auf diese Konstellation gewettet. Satte 42 Millionen britische Pfund betrug der operative Verlust der Times-Gruppe im Geschäftsjahr 2009/10. Das Geschäftsmodell der Zeitungen war durch das Internet erschüttert worden, die Folgen der globalen Finanzkrise hatten ein Übriges getan. Für die Times-Gruppe kam noch eine „Lex Murdoch“ hinzu: Als Rupert Murdoch 1981 den Verlag kaufte, musste er sich gegenüber der Regierung verpflichten, unabhängige Redaktionen für Times und Sunday Times auf Dauer zu erhalten – und damit auch kostspielige Doppelstrukturen. Synergien, die andernorts realisiert werden konnten, blieben Murdochs Leuten verwehrt. Sie griffen zu einer radikalen Maßnahme.
Erster Erfolgsfaktor: die harte Paywall
Als weltweit erste große General-Interest-Zeitungen führten Times und Sunday Times im Frühjahr 2010 ein Modell für digitale Abos ein, und zwar mit Hilfe einer harten Paywall. Unmittelbare Folgen kommentierten skeptische Brancheninsider im Juli nicht ohne Schadenfreude: “Times loses almost 90% of online readership”, lautete eine Headline beim Guardian. In Deutschland beobachtete die taz „Die große User-Flucht“. Und orakelte, dass die Paywall gerade mal jährliche Abo-Einnahmen von 1,7 Millionen Pfund generieren würde.
Doch schon im folgenden Geschäftsjahr konnte der Times-Verlag den Verlust auf 10 Millionen Pfund reduzieren. Im Geschäftsjahr 2013/14 gelang erstmals die Rückkehr in schwarze Zahlen. Neben Sparmaßnahmen und zusätzlichen Einnahmen aus Online-Abos trug zur Erholung bei, dass die Erosion der Print-Auflagen vorübergehend abgebremst wurde. Der Bremseffekt wurde durch ein „platform-agnostic pricing“ begünstigt, das zeitweise auch der Economist verwendete. Print- und Digital- Abos wurden identisch bepreist, sodass es keinen finanziellen Anreiz zum Wechsel gab. Die gleichwohl absehbare weitere Digitalisierung stellte keine Bedrohung für die Verlagserlöse dar, solange die Nutzer nur abonnierten. Auf diese Weise konnte man in turbulenten Umbruchjahren den aktionistischen Zickzackkurs vermeiden, den manches andere Verlagshaus einschlug.
Zweiter Erfolgsfaktor: Ambitioniertes Pricing
Als die Papier- und Distributionskosten für Print in die Höhe schossen, rückte die Times-Gruppe zwar von strikter Preisgleichheit für Gedrucktes und Digitales ab. Digital-Abos wurden aber weiterhin viel höher als bei der Konkurrenz bepreist. Das zeigt ein Vergleich der regulären Jahrespreise, die britische Nutzer für digitale Abos verschiedener englischer und amerikanischer Nachrichtenmedien 2023 zahlen mussten. Demnach war der Preis bei Times/Sunday Times mit 312 Pfund fast so hoch wie bei der auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierten Financial Times, deren Abos vielfach auf Firmenkosten laufen (Grafik unten).
Das Times-Abo kostet weiterhin 312 Pfund im Jahr. Der Telegraph lag 2023 bei rund 189 Pfund, hat den Preis aber inzwischen auf 269 Pfund angehoben. Der Independent, der seit 2016 nur noch online erscheint, verlangt 70 Pfund und ist nach Umsatz- und Gewinnhöhe zum Nischenmedium geworden. Der Guardian taucht in obiger Übersicht nicht auf. Seine Website ist weltweit frei zugänglich und erzielt mit Abstand die höchste Reichweite. Die Erlöse, überwiegend aus Werbung und freiwilligen Spenden stammend, decken zwar die Kosten in manchen Jahren nicht. Das ist aber kein Problem, solange die operativen Verluste mit jährlichen Erträgen aus dem milliardenschweren Finanzvermögen des Scott Trust ausgeglichen werden können, dem der Guardian gehört. Der Titel zehrt davon, dass frühere Verlagsmanager stattliche Gewinne aus den 1980er und 1990er Jahren clever in den Vermögensaufbau investiert hatten. Insofern ist das Modell kaum verallgemeinerbar.
Times und Sunday Times priorisieren Erlös- und Gewinnziele gegenüber Mengendaten. So hinken sie nach digitaler Reichweite selbst dem kleinen Independent weit hinterher. Und was die Zahl der Digital-Abos angeht, lagen sie im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr mit 594.000 Abos deutlich hinter dem engsten Konkurrenten, der Telegraph-Gruppe mit 688.012 Abos.
Der redaktionellen Qualität dürfte die Konzentration auf stabile Erlöse und Gewinne zugutekommen. Jedenfalls konnten die Redaktionen nach Überwindung einer Durststrecke seit 2014/15 kontinuierlich ausgebaut werden und beschäftigen heute mehr Mitarbeiter als vor Einführung der Paywall (Grafik oben).