Zeitschriftenleser stammen überdurchschnittlich häufig aus oberen Sozialschichten, wie Studien belegen. Hat das allein mit ihren anspruchsvollen, gut dotierten Jobs zu tun? Werden sie sich im sprachgesteuerten Smart Home der Zukunft von der Schrift verabschieden, wie manche meinen?

Die Grafik unten zeigt, wie sich einzelne sozioökonomische Segmente nach der Zeitschriftenaffinität zusammensetzen. Zur Bildung dieser Segmente verknüpft die Studie „best for planning“ (b4p) drei Merkmale mit Hilfe eines Punktesystems: die Ausbildung des Befragten, die Berufsposition des Haupteinkommensbeziehers und das Haushaltsnettoeinkommen. Entsprechend seiner Punktzahl wird jeder Befragte einem von sieben sozioökonomischen Segmenten zugeordnet. Einfachheitshalber werden sie durchnummeriert: 1 steht für die oberste soziale Schicht, 7 für den einfachsten Lebenszuschnitt. Die Bevölkerung wird zugleich auch nach der Mediennutzung gruppiert. Entsprechend der Kontakthäufigkeit mit Zeitschriften bildet b4p vier gleich große Gruppen. Das kontaktintensivste Viertel der Bevölkerung wird mit „++“ bezeichnet, das kontaktschwächste Viertel mit „- -“.

Lesen und Schreiben sind Schlüsselqualifikationen

Für Segment 3 ergeben sich ungefähr gleich große Gruppen. Dieses Segment ist also hinsichtlich der Zeitschriftennutzung wie die Gesamtbevölkerung strukturiert. Die oberen Sozialschichten – die Segmente 1 und 2 – nutzen Zeitschriften überdurchschnittlich. Umgekehrt haben die unteren Segmente 6 und 7 die geringste Affinität zur Zeitschriftenlektüre.

Das Ergebnis ist plausibel. Schließlich ist das Lesen neben dem Schreiben und Rechnen eine Schlüsselqualifikation für anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten. Solche Tätigkeiten werden überdurchschnittlich gut entlohnt. Die Kulturtechnik des Lesens ist aber nicht nur für beruflichen Erfolg wichtig. Sie ist auch ein Schlüssel zur Freiheit und zur Persönlichkeitsentfaltung. Nur der Leser hat unabhängig von Raum und Zeit uneingeschränkten Zugriff auf die Gedankenwelten aller Schriftsteller und Künstler, Journalisten und Wissenschaftler.

Lesen und Lebenszufriedenheit hängen zusammen

Theoretische Überlegungen und empirische Daten sprechen dafür, dass Leser die glücklicheren Menschen sind. Elisabeth Noelle-Neumann, die Gründerin des Allensbacher Instituts, hat darauf stets mit Leidenschaft hingewiesen. Das Lesen sei vergleichsweise anstrengend, so beginnt ihr theoretisches Argument. „Aber mit der Anstrengung entwickeln sich die Kräfte, und darauf scheint es für ein in der Grundstimmung glückliches Leben vor allem anzukommen.“ Selbstwirksamkeit und Resilienz sind Termini der neueren psychologischen Forschung, die ähnliche Zusammenhänge beschreiben. Mit Umfragedaten über das Leseverhalten und die Lebenszufriedenheit konnten die Allensbacher Forscher den Zusammenhang vielfach empirisch belegen.

Alexa und Siri werden die Schrift nicht verdrängen. Aber wohl die Wissenskluft vertiefen

Insofern greift Sascha Lobo in seiner Spiegel-Kolumne zu kurz, wenn er meint, Schrift werde durch Sprachsteuerung aus der Privatsphäre verdrängt und in zehn Jahren nur noch für den Job wichtig sein. Zwar ist seiner These zuzustimmen, dass Alexa, Siri & Co. sich durchsetzen werden. Schließlich bieten sie hilfreiche neue Optionen. Allerdings steht der neuen Wahlfreiheit ein neuer Zwang gegenüber: der Zwang, eine im langfristigen Eigeninteresse gute Wahl zu treffen. Die Mediengeschichte lehrt, dass dies oberen Sozialschichten leichter fällt als unteren – ein Phänomen, das in der Forschung seit 1970 unter dem Stichwort „Wissenskluft“ diskutiert wird. Die gesellschaftliche Spaltung könnte sich also durch KI-Fortschritt weiter vertiefen.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.