Es ist eines der interessantesten verlegerischen Experimente des laufenden Jahrzehnts: die Content-Plattform Medium, die 2012 vom Twitter-Mitgründer Evan Williams gestartet wurde. Die Idee hinter Medium war denkbar einfach: In den unendlichen Verästelungen des WWWs gehen interessante Artikel zu schnell unter. „Wir wollen es Leuten, die etwas zu sagen haben, so leicht wie möglich machen“, beschreibt CEO Williams das Gründungsmotto.

Artikel, ob von Bloggern oder anerkannten Journalisten, erhielten nicht zuletzt wegen ihrer Social Media-Anbindung auf Medium schnelle Verbreitung. „Medium ist eine soziale Content-Sharing-Plattform“, erklärte Gründer Williams das Erfolgsrezept. In 2018 erreichte Medium die bemerkenswerte Zahl von über 80 Millionen monatlichen Lesern (Mai 2018) und 2,3 Millionen Follower auf Twitter.

Netflix des Verlagswesens

Allein: Die Rechnung bezahlten bisher nicht die Leser. In den ersten fünf Jahren setzte Medium ausschließlich auf Anzeigenerlöse. „Das werbefinanzierte Modell bringt den Lesern keinen Nutzen. Tatsächlich soll es das auch nicht. Die überwältigende Mehrheit von Artikeln, Videos und anderen Inhalten, die wir täglich konsumieren, wird – direkt oder indirekt – von Unternehmen finanziert, um ihre Ziele zu erreichen“, zeigte sich Williams selbstkritisch.

Es folgte die 180-Grad-Wende: Der heute 46-Jährige verkündete vor knapp zwei Jahren die Einführung eines Bezahlmodells, um qualitativ wertvolle Inhalte stärker zu belohnen – ein Netflix des Verlagswesens sozusagen. Seit März 2017 bezahlen Premium-Mitglieder, die alle Medium-Artikel lesen wollen, 5 Dollar im Monat beziehungsweise 50 Dollar im Jahr. Dafür bekommen Leser als Mehrwert etwa exklusive Kolumnen, Essays, Audioversionen und ausgewählte Artikel von Qualitätsmedien wie der New York Times, The Atlantic oder Vanity Fair.

Mehr Investitionen in Qualitätsjournalismus

Um Qualitätsinhalte zu stärken, hat Medium, das am Sekundärmarkt bereits mit 600 Millionen Dollar bewertet wird, kurz vor dem Jahreswechsel zudem eine neue Content-Offensive angedeutet. “Wir werden unsere Investments in exklusiven Qualitätsjournalismus im nächsten Jahr signifikant steigern”, verriet Williams Ende 2018 dem Finanzinformationsdienst Bloomberg.

Im Gespräch war dabei sogar die Übernahme des renommierten New York Magazine, wie Bloomberg berichtete. Von der Businessstrategie her würde eine Akquisition passen: Wie Medium, das durch diverse Finanzierungsrunden Mittelzuflüsse von 132 Millionen Dollar verzeichnete, setzt auch das 1968 gegründete US-Traditionsmagazin im Web seit Kurzem auf Bezahlinhalte.

Obwohl die Übernahmegespräche möglicherweise nicht fortgeführt werden, sind Mediums Bemühungen doch ein klarer Fingerzeig: Die Nachfrage nach Qualitätsinhalten dürfte weiter ansteigen.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.