Das zeigen die deutschen Daten aus dem Eurobarometer der Europäischen Kommission. Nach der zuletzt im November 2019 von TNS Infratest durchgeführten repräsentativen Befragung bekunden 60 Prozent der Bevölkerung Vertrauen in Zeitschriften und Zeitungen, 35 Prozent haben kein Vertrauen, fünf Prozent antworten mit „weiß nicht“. Die Presse genießt in Deutschland mehr Vertrauen als im EU-Durchschnitt – auf 14 Prozentpunkte beläuft sich die Differenz gegenwärtig.

Beim Blick auf den Kurvenzug fällt auf, dass das Pressevertrauen hierzulande von 2012 bis 2015 unter dem längerfristigen Trend lag. Das dürfte mit Ereignissen zu tun gehabt haben, deren journalistische Behandlung rückblickend von manchen Chefredakteuren selbstkritisch beurteilt wurde: Christian Wulffs Rücktritt als Bundespräsident etwa, die Ukraine-Krise und die Flüchtlingskrise von 2015. „Wir haben in zu vielen Fragen zu konform reagiert“, sagt etwa Giovanni di Lorenzo von der Wochenzeitung Die Zeit.

Die vierte Gewalt hat Vertrauen zurückgewonnen

60 Prozent  Vertrauen – ist das eigentlich viel oder wenig? Bei der Interpretation aus dem aktuellen Eurobarometer ist zu berücksichtigen, dass es sich um ein Pauschalurteil über „die Presse“ handelt. Presseprodukte unterscheiden sich aber in vieler Hinsicht. Etwa nach Qualität, Themenspektrum und politischen Ausrichtung. Die Menschen vertrauen vor allem den Medien, die sie selbst nutzen. Das ist ein plausibler und empirisch gut gesicherter Befund. Der Digital News Report des Reuters Institute an der Universität Oxford ermittelt für Deutschland einen entsprechenden Vertrauenszuwachs von fast einem Drittel.

Wie ist der Wert von 60 Prozent einzuordnen?

Um den Wert von 60 Prozent einzuordnen, kann man auch das Pressevertrauen einmal mit dem Vertrauen in andere Institutionen vergleichen, die das System der demokratischen Gewaltenteilung konstituieren. Laut Eurobarometer vertrauen 54 Prozent der ersten, der legislativen Gewalt, also dem Parlament. Jeder Zweite bekundet Vertrauen zur Exekutive, sprich: zur Bundesregierung. Nur die dritte Gewalt, die Justiz, kommt mit 69 Prozent Vertrauen auf einen höheren Wert als die Presse, die ja oft als vierte Gewalt bezeichnet wird. Deutschland liegt mit diesen vier Vertrauensquoten über dem EU-Durchschnitt. Wobei der eindrucksvolle Vertrauensgewinn der Presse in den letzten Jahren zum Teil auf einen Vertrauensverlust alternativer Medien zurückgehen könnte.

Die fünfte Gewalt hat enttäuscht und Vertrauen eingebüßt

Als fünfte Gewalt bezeichnet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen „die Macht der vernetzten Vielen“. Neben Blogs und Wikis nennt er vor allem die sozialen Netzwerke als Machtinstrumente. Diese werden seit 2014 ebenfalls innerhalb des Eurobarometers erhoben. Dabei zeigt sich im Eurobarometer, dass der Anteil derjenigen, die Facebook, Twitter & Co Vertrauen schenken, auf niedrigem Niveau recht stabil ausfällt. Er lag 2014 bei 15 Prozent und 2019 kaum verändert bei 14 Prozent. Doch eine auffällige Wanderungsbewegung, rund ein Zehntel der Bevölkerung umfassend, gab es aus dem Lager der Indifferenten, die zunächst mit „weiß nicht“ antworteten, ins Lager der Skeptiker. 2014 begegneten 58 Prozent den sozialen Netzwerken eher misstrauisch, 2019 waren es 69 Prozent.

Die Erwartung, dass soziale Netzwerke mehr demokratische Teilhabe und „herrschaftsfreien Diskurs“ (Jürgen Habermas) ermöglichen würden, hat sich offenbar nicht erfüllt. Allerdings ist dieser Befund erstens eine Momentaufnahme und zweitens können die von Bernhard Pörksen zitierten „vernetzten Vielen“ nicht alle Schuld dem Facebook-Chef zuschieben. Schließlich liegt es auch an der Zivilgesellschaft selbst, im Netz zivilisierte Umgangsformen zu etablieren.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.