Der Trend zur Digitalisierung hat durch die Pandemie zusätzliche Schubkraft erhalten. Nicht zuletzt in den Finanzmärkten, wo Online Banking zunimmt und technologiebasierte Dienstleister – sogenannte Fintechs – für Furore sorgen. Umso bemerkenswerter ist, dass gedruckte Finanz- und Wirtschaftstitel nicht nur den Auflagenschwund stoppen, sondern ihre Verkäufe sogar steigern konnten.

Die Pandemie fungiert als Katalysator des Wandels

Der Reihe nach: 1,1 Billionen Euro hatten die hiesigen Privathaushalte Ende 2019 zinslos auf Girokonten herumliegen. Weitere 536 Milliarden Euro waren nahezu zinslos als Termingeld geparkt. Der Ausbruch der Pandemie wirkte dann wie ein Katalysator, der mehr Muße und mehr Mut für den Wechsel zu anspruchsvolleren Geldanlagen generierte:

  • Mehr Muße: Aufgrund des im März 2020 verkündeten Lockdowns hatten die Menschen plötzlich mehr Zeit als sonst. Denn Geschäfte waren geschlossen, Reisen fielen aus, und dank Home Office konnte vielfach auch der Arbeitsweg eingespart werden.
  • Mehr Mut: Der DAX sackte um 40 Prozent ab – um aber schon im Sommer wieder auf das alte Niveau zu klettern. Ähnlich volatil ging es auch an anderen Börsenplätzen zu. So wurde den Sparern vor Augen geführt, welche Gewinnchancen die Anlage in Wertpapieren bietet.
Negativzinsen und Neobroker begünstigen eine neue Aktienkultur

Hinzu kommen strukturelle Veränderungen, die sich unabhängig von der Pandemie vollziehen:

  • Banken und Sparkassen belegen Guthaben auf Girokonten ab einer bestimmten Höhe mit Negativzinsen – so wie sie selbst von der Europäischen Zentralbank mit „Verwahrentgelten“ zur Kasse gebeten werden. Als probates Gegenmittel werden Depots mit kostengünstigen ETF-Sparplänen auch schon für kleine Monatsbeträge angeboten.
  • Direktbanken und sogenannte Neobroker treiben die Digitalisierung voran: „Die Aktienanlage“, so formuliert es das Deutsche Aktieninstitut, „hat die Hosentasche erreicht“. Gemeint ist die Möglichkeit, sämtliche Transaktionen via Smartphone-App auszuführen. Besonders junge Anleger machen davon Gebrauch.

Den Imagegewinn der Aktie dokumentiert auch der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Sie versprechen, die Altersversorgung durch den „Einstieg in die sogenannte Aktienrente“ zukunftssicher zu machen.

Allein im Jahr 2020 gab es fast drei Millionen Börsenneulinge

Viele Einsteiger legten sich erstmals ein Depot an. Nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts stieg die Zahl der am Aktienmarkt engagierten Bürger schon im Jahr 2020 um 2,7 Millionen auf 12,7 Millionen (die Daten für 2021 liegen noch nicht vor).

Erfahrene Anleger nutzten günstige Einstiegskurse, um ihre Bestände aufzustocken. Laut Bundesbank-Statistik legten private Haushalte von Anfang 2020 bis Mitte 2021 rund 150 Milliarden Euro neu in Aktien und Investmentfonds an. Dank der Kurssteigerungen im gleichen Zeitraum stieg der Wert dieser Anlagen um 523 Milliarden Euro. Der Bestand der Privathaushalte an Aktien und Fonds kletterte damit bis Mitte dieses Jahres auf gut 1,7 Billionen Euro.

Print steht für „Deep Reading“

Ihren Informationsbedarf befriedigen die Anleger zum Großteil im Internet, wo viele auch ihre Depots selbst verwalten. Doch „Geldleute lesen genauer, sie wissen, welcher Schaden aus flüchtiger Lektüre entstehen kann“, meinte schon Bert Brecht. Print steht nun einmal für „Deep Reading“.

Finanz- und Börsenmagazine profitierten kräftig davon. Vom 3. Quartal 2019 bis zum 3. Quartal 2021 steigerte Focus-Money die Abo- und EV-Auflage um satte 25 Prozent auf 74.921 Exemplare (Grafik unten). Der Aktionär kommt mit seinem auf Unternehmensanteile fokussierten Redaktionskonzept sogar auf eine Zuwachsrate von 62 Prozent und verkaufte zuletzt 37.711 Exemplare. Euro am Sonntag erhöhte die Auflage um 19 Prozent auf 22.497 Exemplare, und Börse online steigerte sich immerhin um acht Prozent auf 21.088 Exemplare. Dass die Kurven zuletzt ein wenig abknicken, hat primär saisonale Gründe – entsprechend der alten Börsenregel „Sell in May and go away, but remember to come back in September“.

Interessanterweise konnten auch klassische Wirtschaftsmagazine die Printauflage steigern – wenn auch wegen des breiteren Themenspektrums nicht so stark wie die Finanz- und Börsenspezialisten. Die Wirtschaftswoche erhöhte die Abo- und EV-Auflage im Betrachtungszeitraum um sechs Prozent, das Manager Magazin um vier Prozent und Capital um ein Prozent (Grafik unten).

Seriöser Finanzjournalismus bleibt gefragt

Nun ist die Börse bekanntlich keine Einbahnstraße. Der jüngste Aufwärtstrend der Kurse hatte eine expansive Geld- und Fiskalpolitik zur Voraussetzung, die nicht dauerhaft fortgeführt werden kann. Früher oder später werden also DAX & Co. nachgeben. Das sind dann auch Einstiegschancen. Es gibt nämlich nach wie vor viel Geldvermögen, das in langfristig renditestärkere Anlagen umgeschichtet werden kann: Hiesige Privathaushalte hielten Mitte 2021 immer noch 2,9 Billionen Euro in bar, auf Girokonten, als Termingeld oder als Spareinlagen. Die Nachfrage nach seriösem Finanzjournalismus wird den Verlagen nicht ausgehen.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.