Das Medienjahr 2022 begann mit einem Paukenschlag: Anfang Januar verkündete die New York Times die zweitgrößte Akquisition ihrer 171-jährigen Firmengeschichte. Für stolze 550 Millionen Dollar übernimmt der US-Renommeeverlag das erst sechs Jahre alte Sportportal The Athletic.

Der Schritt überrascht auf den ersten Blick: Zahlreich prämierter Nachrichten- und Politjournalismus und Sportberichterstattung für die iPhone-Generation – passt das denn zusammen? Es passt, denn The Athletic hat sich in den vergangenen Jahren zur führenden Online-Only-Publikation für Sportjournalismus entwickelt, die nicht nur über die US-Ligen im American Football (NFL), Baseball (MLB), Basketball (NBA) und Eishockey (NHL) berichtet, sondern auch im europäischen Fußball die britische Premier League aus allen Winkeln beleuchtet und sogar inzwischen fast täglich die Entwicklung der Bundesliga analysiert.

,,Das Netflix des Sportjournalismus“

Die Berichterstattung besitzt eine Detailversessenheit und Tiefe, die nur intime Branchenkenner mitbringen und echte Fans fasziniert. Und das immer zahlreicher: Bereits 1,2 Millionen Menschen sind bereit, für das „Netflix des Sportjournalismus“ (GQ Magazine) zu bezahlen: 7,99 Dollar kostet das Monatsabo, 48 Dollar das Jahresabo.

Die stark wachsenden Abonnentenzahlen sind für ein so junges Medium beachtlich: Binnen nicht einmal fünf Jahren ist The Athletic in die erste Liga der Qualitätspublikationen aufgestiegen, die es auf eine Million und mehr zahlende Digitalleser bringen – ein illustrer Kreis, zu dem sonst nur Traditionsnachrichtenmarken wie eben die New York Times, die Washington Post, die Financial Times und der Guardian zählen.

The Athletic: Hyper-Wachstum nach den Spielregeln des Silicon Valley

Gelungen ist The Athletic der spektakuläre Aufstieg nach den Spielregeln des Silicon Valley. Gegründet wurde das US-Sportportal für die mobile Ära von Alex Mather und Adam Hansmann, zwei sportbegeisterten Führungskräften beim Start-up Strava, der beliebten Tracking-App für Laufen, Radfahren und andere Sportarten.

Mather und Hansmann waren davon überzeugt, dass es auf dem US-Markt noch Platz für ein umfassenderes Sportangebot als den Bleacher Report und ESPN geben müsste. „Jemand muss aus der Umkleidekabine berichten“, erklärte Mather gegenüber dem Finanzinformationsdienst Bloomberg einst die Motivation hinter The Athletic.

Das Erfolgsgeheimnis hinter dem rasanten Nutzerzuspruch bei The Athletic ist unterdessen das gleiche wie bei Netflix & Co.: Es ist datengetrieben. The Athletic kennt die Bedürfnisse seiner Leser sehr genau – und bedient erfolgreich Nischenthemen und Teams, über die im klassischen Sportteil sonst nicht berichtet wird.

Was die NYT in The Athletic sieht

Genau an dieser Stelle kommt die New York Times ins Spiel, bei der die Sportberichterstattung, von Großereignissen abgesehen, eher ein Nischendasein fristet. Entsprechend viel Synergieeffekte verspricht sich die „Gray Lady“ von der neuen Online-Tochter. Die Überlappung der beiden Zielgruppen sei „relativ moderat“, erklärte NYT-CEO Meredith Kopit Levien bei Verkündung der Übernahme im Januar.

Die US-Traditionstageszeitung hat mit der Akquisition zudem auf einen Schlag ihr lang gehegtes Ziel von 10 Millionen Abonnenten innerhalb kürzester Zeit  erreicht: Die New York Times Company vermeldete den Meilenstein Anfang Februar bei Bekanntgabe der jüngsten Quartalsbilanz. 8,8 Millionen Abonnenten steuert die NYT selbst bei – knapp 8 Millionen sind zahlende Dauerleser der Digitalausgabe.

Im Zuge der Übernahme hob Levien das Ziel der angestrebten Abonnentenmarke auf 15 Millionen bis 2027 an. The Athletic könnte dabei ein Treiber sein – etwa, wenn das weiter eigenständig betriebene Sportangebot als Bundle mit der vielleicht besten Zeitung der Welt vertrieben wird. The Athletic-Gründer Mather sieht genau darin die richtige Heimat für sein Sportangebot: „Die New York Times ist die Speerspitze des Journalismus. Wir sind davon begeistert, dass die Times für The Athletic das dauerhafte Zuhause wird.“

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.