Wie wird digitaler Nachrichtenjournalismus verbreitet? Wer sorgt für freie Zugangswege? Brisante Fragen. Immerhin denkt Justizminister Heiko Maas laut über eine gesetzliche Regulierung von Algorithmen nach. Den Verlagen dürfte der direkte Weg ohne Algorithmen am liebsten sein: Wer gezielt die Seite des Spiegel oder der Frankfurter Allgemeinen ansteuert – etwa über ein Lesezeichen oder die URL-Eingabe –, hat bereits eine persönliche Beziehung zur Medienmarke. Zumindest kennt er sie dem Namen nach. Wer hingegen über einen Deep Link von Facebook oder Google kommt, registriert womöglich noch nicht einmal, welcher Redaktion er eine bestimmte journalistische Information verdankt. „Das habe ich bei Facebook gelesen“, mag er später seinen Bekannten erzählen, oder auch „Das habe ich gegoogelt“.

A priori spricht somit alles dafür, dass Direct Traffic für eine Medienmarke am wertvollsten ist. Für die USA bestätigte eine empirische Studie des Pew Research Centers schon vor einiger Zeit diese Vermutung. Eine Analyse von 26 führenden Nachrichtenseiten ergab, dass Direktbesucher pro Visit ungefähr dreimal so viel Zeit auf der Seite verbrachten wie Besucher, die über eine Suchmaschine oder über Facebook kamen. Und obendrein besuchten diese Nutzer die Seite dreimal so oft.

Der loyale Stammkunde kommt direkt

Wer eine loyale Stammleserschaft für seine Nachrichtenseite anstrebt, wird also auf Direktbesucher setzen. Unter diesem Gesichtspunkt war der Smartphone-Boom der letzten Zeit eine zweischneidige Angelegenheit für Medienhäuser. Einerseits brachte dieser Boom natürlich zusätzlichen Traffic. Andererseits gelangen Smartphone-Nutzer überdurchschnittlich oft über soziale Medien wie Facebook, Twitter, Instagram usw. auf eine Nachrichtenseite.

Umso bemerkenswerter sind Ergebnisse aus dem jüngsten Digital News Report des Reuters Institute an der Universität Oxford. Die Daten für Deutschland, aufbereitet von Wissenschaftlern des Hans-Bredow-Instituts, zeigen dass 34 Prozent der Nutzer direkt auf eine Website oder App zugreifen. Das sind sieben Prozentpunkte mehr als im letzten Jahr.

Suchmaschinen, im Jahr 2016 noch der meistgenannte Zugangsweg, verloren fünf Punkte und landen nun bei 32 Prozent. Über soziale Medien gelangen 22 Prozent an Online-Nachrichten, ein Punkt mehr als im Vorjahr. E-Mail-Newsletter – oft von Editorial Media erstellt –, erleben in letzter Zeit eine Renaissance. Für 16 Prozent sind sie als Gateways zu digitalen Nachrichten relevant. Der Nachrichtenalarm auf mobilen Geräten spielt für neun Prozent der Nutzer eine Rolle, und Aggregatoren wie Google News sind für acht Prozent relevant.

Algorithmen haben in Deutschland nachgeordnete Bedeutung

Beim Zugriff über Suchmaschinen ist nun allerdings zusätzlich noch eine Differenzierung nötig: Nur 18 Prozent der Nutzer geben ein Nachrichtenthema in das Suchfeld ein. 22 Prozent tippen den Namen einer Medienmarke ein, um schnell und unkompliziert deren Homepage zu erreichen. Schlägt man diese Nutzer den Direktbesuchern zu, so ergibt sich nach Herausrechnen von Überschneidungen ein Nettopotenzial von 49 Prozent. Jeder zweite Nutzer greift also ganz gezielt auf eine Nachrichtenseite seines Vertrauens zu. E-Mail-Newsletter und Mobile Alerts, sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Sie kommen zumeist ja ebenfalls dank einer bewussten Entscheidung des Empfängers zum Zuge.

39 Prozent der Nutzer empfangen auch Nachrichten, die über Algorithmen gesteuert werden, sei es über Social Media, über Aggregatoren wie Google News oder über eine Suchmaschine, die der Nutzer zur Themensuche einsetzt. Wobei Algorithmen womöglich besser sind als ihr Ruf, jedenfalls was die Filterblasen-Problematik angeht: Die Studie liefert Indizien dafür, dass die Algorithmen von Google, Facebook & Co bei einem Teil der Nutzer sogar für ein Mehr an Quellenvielfalt sorgen.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.