Ein Forscherteam um Professor Philip N. Howard von der Universität Oxford hat untersucht, wie Fake News bei Twitter die jüngsten Wahlen in den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien beeinflusst haben könnten. Dabei zeigt sich: Die Gefahr war in den europäischen Ländern geringer als in den USA.

Die britischen Forscher ziehen den Terminus „Junk News“ vor, vermutlich weil „Fake News“ von Donald Trump als Kampfbegriff gegen die Presse eingesetzt werden. Wissenschaftliche Definitionen für Fake News sind aber auch im Umlauf – siehe etwa diesen Beitrag von Liriam Sponholz. Letztlich handelt es sich um Synonyme. Gemeint sind in beiden Fällen irreführende oder falsche Informationen, die absichtlich verbreitet und als echte Informationen über Politik, Wirtschaft oder Kultur ausgegeben werden. Es handelt sich besondere um extremistische, propagandistische und verschwörungstheoretische Inhalte von Organisationen, die keine professionellen Journalisten beschäftigen.

Zum Untersuchungsdesign: Anhand von geeigneten Hashtags wurden im ersten Schritt Tweets identifiziert, die sich auf die jeweiligen Wahlen bezogen. Im zweiten Schritt wurden diejenigen Tweets ausgewählt, die Links enthielten, also auf externe Quellen verwiesen. Aus dieser Teilgesamtheit wurde eine Zufallsstichprobe gezogen, und die verlinkten Quellen wurden nach einem differenzierten Kategoriensystem von geschulten Kräften vercodet.

Vor der US-Wahl spielte Junk News eine große Rolle

Die Grafik zeigt die untersuchten Wahlen in chronologischer Reihenfolge. Für die USA wurde Anfang November 2016 – also kurz vor der Präsidentschaftswahl – das wahlrelevante „Gezwitscher“ im Bundesstaat Michigan untersucht. Das ist einer der sogenannten Swing States, um die wegen des zumeist knappen Wahlausgangs stets besonders erbittert gerungen wird. Innerhalb von zehn Tagen wurden 22 Millionen Tweets zur Wahl identifiziert. Rund 34 Prozent der über Twitter verbreiteten Links führten zu professionellen journalistischen Nachrichtenorganisationen, ebenso viele allerdings auch zu Junk News.

Vor der Bundespräsidentenwahl gewann Editorial Media mit 4:1 gegen Junk News

Für Deutschland untersuchten die Forscher Anfang Februar dieses Jahres 121.000 Tweets im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl. Da die Wahl von Frank Walter Steinmeier durch die Bundesversammlung de facto eine Formsache war – die großen Parteien hatten sich vorher abgestimmt – ist diese Wahl mit anderen nicht voll vergleichbar. Die 55-prozentige Mehrheit aller Links führte zu journalistischen Quellen, während Junk News nur auf knapp 13 Prozent kamen. Auf automatisierte Tweets entfielen sechs Prozent, auf russische Quellen (wie z.B. Russia Today und Sputnik) drei Prozent.

Franzosen und Briten gaben Junk News vor den Wahlen kaum eine Chance

In Frankreich wurde Twitter vor beiden Gängen der diesjährigen Präsidentschaftswahl analysiert. 57 Prozent der verbreiteten Links vor dem ersten Wahlgang und 49 Prozent der Links vor der Stichwahl führten zu journalistischen Quellen. Editorial Media schlugen damit Junk News klar aus dem Feld, die nur auf fünf beziehungssweise acht Prozent kamen. Junk News lagen damit noch hinter den durch „Bots“ verbreiteten Links, die teilweise zu seriösen Inhalten führen.

Im Vereinigten Königreich wurde vor den Unterhauswahlen einmal Anfang Mai gemessen und einmal Ende Mai/Anfang Juni. In beiden Fällen verlinkten die Tweets zu über der Hälfte auf den professionellen Journalismus. Junk News erreichten Anteile von rund 13 beziehungsweise 11 Prozent.

Apokalypse muss schon wieder verschoben werden

Fazit: Möglicherweise haben die Brexit-Abstimmung und die US-Wahl viele Leute für Manipulationsgefahren in Social Media sensibilisiert und eine gewisse Rückbesinnung auf Stärken von Editorial Media gefördert. Dass die Leser eine relativ kritische Grundhaltung haben, wenn es um den Wahrheitsgehalt von Meldungen auf Social-Media-Plattformen geht zeigt auch eine FOM-Studie (2017), wonach fast 60 Prozent der dort Befragten von einem Fake-News-Anteil von mehr als 50 Prozent ausgehen. In den Augen von 70 Prozent wird sich dieser Anteil bis zur Bundestagswahl sogar noch weiter erhöhen.“ Bei Twitter hatten jedenfalls die Junk News in europäischen Wahlgängen der jüngsten Zeit nicht so viel Einfluss wie mancher schrille Warnruf suggeriert.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.