Es klang wie ein verspäteter April-Scherz oder „Fake News“ bevor der Begriff erfunden wurde: Jeff Bezos kauft die Washington Post für 250 Millionen Dollar. Etwas mehr als fünf Jahre ist eine der ungewöhnlichsten Akquisitionen in der Medienbranche aller Zeiten nun schon her.

Nicht der E-Commerce-Riese Amazon, sondern der Internet-Unternehmer als Privatmann erwarb am 5. August 2013 das 1877 gegründete Renommee-Blatt (inklusive der Online-Ausgabe), das unter anderem 1972 die Watergate-Affäre aufdeckte, in die US-Präsident Nixon verwickelt war.

Bezos krempelt die Washington Post nach Amazon-Erfolgsrezept um

Was wollte Bezos mit einer der größten Kronjuwelen des US-Qualitätsjournalismus? „Die Werte der Post müssen sich nicht ändern“, versicherte der Amazon-Chef in einem Schreiben an die Belegschaft. Was sich verändern musste, war die Effizienz und Profitabilität im Newsroom.

Schnell wandte Bezos, der die WaPo wegen seiner Tätigkeit als Amazon-CEO nicht im Tagesgeschäft führt, das Erfolgsgeheimnis des E-Commerce-Giganten an: Verbreitung über seinen Mitgliederservice Prime. Prime-Nutzer können die Washington Post seit 2015 tatsächlich sechs Monate lang gratis lesen, erst danach kostet das Abo für Mitglieder vergleichsweise günstige 3,99 Dollar pro Monat.

Zusatzerlöse durch verbesserte Technik

Im nächsten Schritt rüstete der Amazon-Chef technisch nach: Die Website der Washington Post und die Apps wurden grundlegend überarbeitet und auf Nutzerfreundlichkeit hin optimiert, während interne Tools wie Bandito, durch die Schlagzeilen klickoptimiert wurden, die redaktionellen Abläufe vereinfachten.

Bezos installierte zudem ein State-of-the-Art-Content-Management-System namens Arc, das als zusätzliche Erlösquelle dient – nämlich bei der Lizenzierung durch andere Redaktionen. „Wir können kein Unternehmen sein, das haufenweise Geld verliert”, impfte Bezos der Belegschaft nach Angaben des New York Magazine schnell Unternehmergeist ein.

„Das einzige 140-Jahre-alte-Startup der Welt“ ist 2016 wieder profitabel

Neben unzähligen Prestigeerfolgen in Form von zahlreichen Pulitzer-Preisen stellte sich unter Bezos’ Ägide auch wieder der wirtschaftliche Erfolg des US-Traditionsmediums ein, das bis zur Übernahme 2013 chronisch defizitär arbeitete, seit 2016 aber wieder schwarze Zahlen schreibt. Im vergangenen Geschäftsjahr konnte die Washington Post, nicht zuletzt durch die intensive und investigative Berichterstattung über die Trump-Administration, die Zahl der Digitalabonnenten mehr als verdoppeln und im Vergleich zu 2016 sogar auf ein neues Rekordniveau verdreifachen, ließ Washington Post-CEO Fred Ryan Anfang des Jahres in einem Schreiben an die Belegschaft durchblicken.

Marke von einer Million Online-only-Abonnenten übertroffen

2017 hatte die Washington Post erstmals den Meilenstein von einer Million Online-only-Abonnenten durchbrochen. Die digitalen Werbeerlöse legten 2017 ebenfalls zu. „Die Partnerschaft zwischen Nachrichten und Technologie befeuert unser Wachstum“, erklärte Ryan das Erfolgsgeheimnis der neben der New York Times und dem Wall Street Journal wohl angesehensten US-Tageszeitung, die der Vorstandschef deshalb auch augenzwinkernd als das „einzige 140-Jahre-alte-Startup der Welt“ bezeichnet. Eigentümer Jeff Bezos hätte sein Investment nicht besser beschreiben können…

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.