Die gesellschaftspolitische Polarisierung hat in den USA nicht erst unter Donald Trump zugenommen, sondern schon unter George W. Bush und Barack Obama. Damit ging eine Polarisierung der Medien einher: Seit langem schauen die einen nur CNN, die anderen nur Fox News. Auch für große Zeitungsmarken, allen voran die New York Times, hat die Polarisierung in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen.

Nützliche Polarisierung

Im Jahr 2011 führte die New York Times die Paywall und das Abo-Modell im Netz ein. Nicht ohne Erfolg – die Umsatzeinbußen konnten besser als anderswo begrenzt werden. Die große Wende zum Positiven kam allerdings erst im Zuge des sogenannten „Trump Bump“. Die „graue Lady“, wie die Zeitung ehrfurchtsvoll genannt wird, prallte mit dem wenig galanten Gewinner der Präsidentschaftswahl vom November 2016 zusammen. Der frühere Bauunternehmer und Reality-Show-Star Donald Trump fiel durch den eigenwilligen Umgang mit Fakten auf und erklärte linksliberale Medien zu „Volksfeinden“. Das half der Times entschiedene Trump-Gegner millionenfach als Abonnenten zu mobilisieren.

Die Zahl der Digital-Abos hat sich seit Trumps Wahl auf fast 3,8 Millionen mehr als verdoppelt. Den Umsatz steigerte die New York Times 2017 um acht Prozent und 2018 um weitere vier Prozent. Die Washington Post nahm einen tendenziell ähnlichen Aufschwung. Während andernorts Stellen gestrichen werden, konnten beide Medien ihre Redaktionen kräftig ausbauen.

Kurzum, die Polarisierung war führenden liberalen US-Medien in vieler Hinsicht äußerst nützlich. Sie half, die finanzielle Basis inmitten der schwierigen digitalen Transformation zu verbessern. Ein gewisses Maß an Polarisierung gehört auch durchaus zum Wesen der Demokratie, wie der Politikwissenschaftler Ludger Helms feststellt. Auf diese Weise kann zum Beispiel die Wahlbeteiligung steigen.

Schädliche Polarisierung

Ein Übermaß an Polarisierung, so Ludger Helms weiter, könne allerdings Feindschaft und Misstrauen „bis zur Zerstörung der Demokratie“ hervorrufen. Damit ginge dann auch die Pressefreiheit verloren – es käme zum größtmöglichen Schaden für die Medien.

Davon sind die USA zum Glück weit entfernt. Allerdings nimmt die Polarisierung weiter zu und stellt den Journalismus vor neuartige Herausforderungen, wie Tobe Berkovitz, Professor an der Boston University, feststellt:  Engagierte Abonnenten wollen den Kurs „ihres“ Mediums mitbestimmen. So erwartet ein Teil der mit dem „Trump Bump“ gewonnenen Neu-Abonnenten aggressiven, aktivistischen Journalismus und formuliert lautstark entsprechende Forderungen über die sozialen Medien.

Manche Beobachter äußern die Befürchtung, dass die hohen journalistischen Standards von Medienmarken wie New York Times und Washington Post dadurch Schaden nehmen könnten. So zum Beispiel der britische Historiker Timothy Garton Ash in Die Zeit, der französische Medienexperte Frédéric Filloux in Monday Note, der amerikanische Journalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald in The Intercept und der deutsche Medienjournalist Michael Hanfeld in der F.A.Z.

US-Medienmarken polarisieren mehr denn je

Womöglich werden die Chefredakteure Dean Baquet von der New York Times und Martin Baron von der Washington Post solche Sorgen übertrieben finden. Doch als sicher kann gelten, dass die mediale Spaltung unter der Präsidentschaft Donald Trumps weiter vertieft wurde.

Der Digital News Report des Reuters Institute an der Universität Oxford zeichnet die Entwicklung mit seiner jährlichen Umfrageforschung nach. Im Zuge des „Trump Bump“ erhöhte sich das generelle Medienvertrauen auf der politischen Linken, während zugleich auf der Rechten das Misstrauen wuchs. Die Linke vertraute schon 2016 den Medien etwas mehr als die Rechte. Binnen dreier Jahre wuchs die Kluft deutlich – von 11 Prozentpunkten 2016 auf 44 Punkte 2019. Die Chance, dass sich die Kontrahenten auf der Basis geteilter Informationen und rational diskutierter Deutungen verständigen, wurde damit reduziert. Die Medienlandschaft als Ganzes büßte an Integrationskraft ein.

Dazu passt ein Befund von „Morning Consult“, einem US-Marktforschungsunternehmen. Demnach polarisieren die amerikanischen Medienmarken 2019 nicht nur mehr als viele andere Marken, sondern auch mehr als im Jahr zuvor.

Spread – Kennziffer für die Polarisierung von Medien

Ein Maß für die Polarisierung bilden die Forscher, indem sie den Saldo aus Markenanhängern und -gegnern, gemessen in Prozentwerten, getrennt für demokratisch und republikanisch gesinnte Probanden bilden und anschließend die Differenz – den „Spread“ – zwischen beiden Salden berechnen. Am stärksten polarisieren die Trump Hotels.  Die Gegnerschaft umfasst netto 55 Prozent der Demokraten, die Anhängerschaft 31 Prozent der Republikaner. Das ergibt einen Spread von 86 Prozentpunkten. Ansonsten sind neben Medienmarken nur noch Smith & Wesson und Nike unter den 15 am meisten polarisierenden Marken zu finden.

Die am meisten polarisierenden Medienmarken sind CNN mit einem Spread von 80 (+14 gegen Vorjahr), Fox News mit einem Spread von 73 (+19 gegen Vorjahr) und New York Times mit einem Spread von 62 (+11 gegen Vorjahr). Die Washington Post belegt unter den Medienmarken mit einem Spread von 50 (+ 6 gegen Vorjahr) den achten Rang. Mit Ausnahme von Fox News handelt es sich um Medienmarken, die bei demokratisch gesinnten Amerikanern beliebt sind, bei republikanisch gesinnten aber auf Ablehnung stoßen.

Spagat im Wahljahr

Die großen Zeitungmarken der USA werden im kommenden Wahljahr einerseits das gesteigerte politische Interesse, die Emotionen und – ja, auch die Polarisierung –  für den schnellen Ausbau ihrer Abo-Bestände nutzen müssen. Schließlich hat sich die New York Times eine ehrgeizige Zielmarke von zehn Millionen Abos im Jahr 2025 gesetzt. Andererseits müssen die Redaktionen, um langfristig ihre Integrationskraft zu erhalten, angesichts hochkochender Leidenschaften einen sachlichen Stil wahren, unterschiedliche Meinungen widerspiegeln und bewährte journalistische Standards nach allen Seiten verteidigen.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.