Websites und Apps sowie ePaper haben stark wachsende Bedeutung für die freie Presse. Dabei sind es recht unterschiedliche digitale Produkte: Im ersten Fall handelt es sich um digitalen Journalismus mit veränderter kultureller Praxis, im zweiten Fall wird ein Printprodukt mit festem Erscheinungsrhythmus und begrenztem Platz technisch umgewandelt.

Im Zeitschriftenmarkt sind unterschiedliche Entwicklungspfade zu beobachten: Mal erfolgt die Digitalisierung über ePaper (Beispiel ADAC Motorwelt), mal über Website/App (Beispiel TV Spielfilm), mal ambitioniert über beide Pfade (Beispiel Der Spiegel), mal mit einer zeitweise bewusst gewählten Distanz zur schnelllebigen Welt der Bits & Bytes (Beispiel Landlust).

Unterschiedliche digitale Produkte

Ein ePaper ist gemäß IVW definiert als „die digitale Ausgabe eines Pressetitels, die mit ihrem Printpendant nach Inhalt und Layout identisch ist“. Es handelt sich also um ein digitales Produkt, bei dem die Verlage die Papierkosten ebenso einsparen können wie die Kosten des physischen Transports. Das kommt natürlich auch der CO2-Bilanz zugute. Die Journalisten arbeiten allerdings unter traditionellen Bedingungen des Gutenberg-Zeitalters, was den festen Redaktionsschluss und den begrenzten Platz angeht.

Insofern gehört das ePaper nicht zum digitalen Journalismus, wie ihn eine Forschungsgruppe um den  Hamburger Journalistikprofessor Volker Lilienthal beschreibt: „Das vorangestellte Eigenschaftswort signalisiert, dass sich der Journalismus als kulturelle Praxis insgesamt wandelt“. Wichtige Stichworte zur Charakterisierung von Websites und Apps seien Beschleunigung und Dynamisierung, Hypertextualität und Dialogisierung. Den Beginn des digitalen Journalismus in Deutschland datieren die Forscher auf den 25. Oktober 1994, den Start von Spiegel Online.

Konzentration auf das ePaper: Beispiel ADAC Motorwelt

ADAC Motorwelt, die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift des Automobilclubs, verkauft unter allen deutschen Publikumszeitschriften die meisten ePaper je Erscheinungsintervall (Grafik unten). Der ADAC lässt seinen Mitgliedern die Wahl: Ein gedrucktes Exemplar erhalten sie gegen Vorlage des Mitgliedsausweises in ADAC-Geschäftsstellen, teilnehmenden Edeka-Märkten und allen Netto-Marken-Discounts. Alternativ können sie das ePaper herunterladen, wenn sie sich online mit der Kundennummer als Mitglied ausweisen. Insgesamt wurden im 4. Quartal rund 3,5 Millionen Exemplare verbreitet, davon entfielen knapp 342.000 Exemplare auf das ePaper. Der Digitalisierungsgrad erscheint mit knapp einem Zehntel ausbaufähig. Anders formuliert: Die Wertschätzung der organisierten Autofahrer für Print ist bemerkenswert hoch. Eine Website betreibt die Redaktion nicht.

Konzentration auf den Web-Auftritt: Beispiel TV Spielfilm

Als Gegenmodell zur ADAC Motorwelt – vielbesuchte Website, aber kein ePaper – kann TV Spielfilm gelten. Mit durchschnittlich 71,5 Millionen monatlichen Visits im Schlussquartal 2022 bildet TV Spielfilm.de das fünftstärkste Angebot im Zeitschriftensegment (Grafik unten). Im Unterschied zum Aufruf einer einzelnen Seite versteht man unter Visits den zeitlich zusammenhängenden Besuch eines Nutzers auf einer Website oder App.

Die Abstinenz beim ePaper ist typisch für Programmzeitschriften. Nur zwei Titel dieses auflagenstarken Printsegments, Arte Magazin und TV Movie, haben überhaupt ePaper im Angebot. Zusammen verkaufen sie davon gerade mal rund 5.500 Exemplare.

Digitalisierung auf beiden Wegen: Beispiel Der Spiegel

Der Spiegel war im Herbst 1994, damals unter dem Namen Spiegel Online, die erste deutsche Zeitschrift mit einem Web-Auftritt. Anders als das gedruckte Wochenmagazin bietet das Netz die technische Möglichkeit der Tagesaktualität. Mehr noch, man kann wichtige Ereignisse sogar fast in Echtzeit „tickern“ oder „streamen“. So konnte das Nachrichtenmagazin erfolgreich in Konkurrenz zu überregionalen Tageszeitungen und ihren digitalen Ablegern treten. Zeitungsmarken wie F.A.Z. oder Süddeutsche ist der Spiegel heute nach Visits voraus. Nach der Reichweite, gemessen in monatlichen Unique Usern, gilt dies ebenfalls.

Ein wachsender Teil des Hamburger Wochenmagazins wird als ePaper verkauft. Im 4. Quartal 2022 waren es 278.297 Exemplare, entsprechend 39 Prozent des Gesamtverkaufs. Über interessante Details der Digitalisierung, auch über das Zusammenwachsen der einst getrennten Redaktionen von Print und Online berichten die Spiegel-Macher in ihrem Development-Blog.

Focus, der 1993 gegründete Münchener Nachrichtenmagazin, vollzieht die Digitalisierung ebenfalls zweigleisig. Beim ePaper und bei der Gesamtauflage rangiert es deutlich hinter dem Spiegel.

Bewusste Langsamkeit: Beispiel Landlust

Landlust wurde, wie der Verlag erklärt „ursprünglich als Gegenentwurf zur Digitalisierung“ konzipiert. In der Vergangenheit nutzte man daher die Website im Wesentlichen nur als Marketing Tool für Print und verzichtete ganz auf das ePaper. Damit blieb die Zeitschrift in der Erfolgsspur: Im Jahresdurchschnitt 2022 war die verkaufte Auflage mit gut 773.000 Exemplaren um rund fünf Prozent höher als 2010. Zwischendurch hatte die Auflage zwar kurzzeitig mal die Millionengrenze überschritten, doch war die anschließende Erosion womöglich einer wachsenden Zahl von Print-Nachahmern mehr geschuldet als dem Siegeszug des Internets.

Nachdem der digitale Journalismus seinen Kinderschuhen entwachsen ist, will jetzt allerdings auch Landlust mitmischen. In einer Websession des Medienverbands der freien Presse (MVFP) wurde die neue Strategie kürzlich vorgestellt: „Mit einer gezielten, digitalen Produktoffensive investiert die Deutsche Medien-Manufaktur nun in den digitalen Ausbau der Marke, um diese crossmedial auf allen Kanälen erlebbar zu machen, neue Zielgruppen zu erschließen und gleichzeitig die Markenbindung sowie Konversionen in anderen Geschäftsfelder zu erhöhen.“

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.