Interview mit Thomas Voigt, Head of Corporate Communications der Otto Group, Hamburg

Sie bringen als Kommunikationsverantwortlicher der Otto Group und davor als Chefredakteur von „HORIZONT“ und „impulse“ einen besonderen Erfahrungshintergrund mit. Sie kennen somit alle Seiten der Medien- und Kommunikationslandschaft bestens. Wie stehen Sie zu dem „Editorial Media“-Ansatz, den redaktionellen Journalismus als zentrales Argument zur Unterscheidung von Mediengattungen einzusetzen?

Gerade in Zeiten babylonischer Meinungsvielfalt in den Netzen brauchen wir Journalisten, die unideologisch und unbestechlich berichten. Diese enorm wichtige Qualität in Stellung zu bringen gegenüber gekauften Blogs, automatisierten Bots und gefakten Botschaften, kann journalistisch getriebene Medien erheblich differenzieren. Und hilfreich ist zudem, dass sich die kanalspezifische Trennlinie zwischen Print, TV, Online und Mobile aufzuheben scheint. Es geht auch in einer digitalen Welt aus Sicht der Nutzer um das Vertrauen in die Medienmarke, egal auf welchem der hoffentlich vielen Kanäle man ihr begegnet.

Und was hat sich Ihrer Meinung nach im Vergleich zu den Zeiten Ihrer Chefredakteursfunktion in der Beziehung der Menschen zu den Medien am stärksten verändert?

Die Bandbreite der Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten war in den 90-er Jahren ungleich kleiner. Das Internet steckte ja noch in den Kinderschuhen, Telefone waren noch zum Telefonieren da und die Menschen lasen noch gedruckte Zeitungen und Zeitschriften. Was da stand, hatte noch einen enormen Impact auf die öffentliche Meinung. Und genauso fühlten sich viele Chefredakteure: Umworben, wegweisend und vor allem wichtig. Der erste entscheidende Bruch kam mit dem Ende der so genannten New Economy 2000. Erst hatten die Wirtschaftsmedien die Leute mit überzogenen Aktientipps hinter die Fichte geführt, nun war das Geld weg. Das hat mancher Zeitschrift und manchem Chefredakteur das Genick gebrochen und der Branche viel Vertrauen gekostet.

Aktuell wird – noch verstärkt durch die Diskussion um Lügenpresse und Fake News – die Vertrauenswürdigkeit der verschiedenen Mediengattungen kontrovers diskutiert. Wie bewerten Sie diese Auseinandersetzung?

Erst einmal ist es ein Zeichen für die Vertrauenskrise gegenüber allen Eliten im Lande, zu denen die Journalisten schon deshalb gezählt werden, weil sie sich gerne als Elite geriert haben. Zum anderen ist es ein Menetekel, das sich auch die Medien öffentlicher Kritik stellen müssen. Damit meine ich nicht die völlig überzogene Kritik von frustrierten Wutbürgern oder die unsäglichen Tiraden des US-Präsidenten, sondern das dahinter liegende Unbehagen, das sich offenbar über Jahre aufgestaut hat. Und zum dritten ist es eine Chance, dass sich die Medien neu verorten können und sollten.

Was erwarten Sie von den Editorial Media Verantwortlichen in den Medienhäusern, um die Funktion als Garant für Demokratie und freie Meinungsäußerung zu bewahren?

Dass sie ihre unglaublichen Chancen nutzen. Noch nie wurde so intensiv über die Rolle der Medien diskutiert. Um sich in einer wahrhaft fundamental verändernden und immer komplexer werdenden Welt zu positionieren, sollten Journalisten es vermeiden, ihre wichtige Rolle als Wächter nicht zu überdehnen. Sie sind keine Richter über Erfolg oder Misserfolg, über Recht oder Unrecht und über Freund und Feind und sie haben auch nicht zur Jagd auf Menschen aufzurufen – sei das Motiv auch noch so ehrenwert. Sie können mit mehr Mut und Demut punkten. Mit mehr Mut zu verantwortlicher Haltung, zu ergebnisoffener Recherche und zu facettenreicher, auch gerne konstruktiver Berichterstattung. Und mit mehr Demut vor den Herausforderungen und der Würde der handelnden Personen. Schließlich geht es um Respekt in einer Zeit der Respektlosigkeit. Bei vielen Journalisten, mit denen ich spreche, erlebe ich bereits ein Umdenken.

Die Otto Group ist auf allen medialen Plattformen engagiert und kommuniziert mit ihren Zielgruppen auf unterschiedlichsten Wegen. Organisiert das Unternehmen den Dialog nach bestimmten Werte- und Leistungsrastern?

Eindeutig ja. Unser Kompass ist bekanntlich die ausgeprägte Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und Umwelt, ohne die heute aus unserer Sicht kein Unternehmen überlebensfähig ist. Die bezieht sich ausdrücklich darauf, die Unabhängigkeit der Medien zu respektieren – und wo immer möglich – zu fördern. Gerade dann, wenn es wehtut. Und sie bezieht sich darauf, immer mit offenem Visier zu kommunizieren. Das schließt zum Beispiel verdecktes Sponsoring an Influencer und ungekennzeichnete werbliche Contents ausdrücklich aus. Zuletzt: In einer hypertransparenten Netzwerkökonomie bemisst sich der kommunikative Wert des Unternehmens im Wesentlichen nach der Kontaktdichte zwischen unseren Mitarbeitern und ihren Netzwerken. Da sollte man als Kommunikator die Kolleginnen und Kollegen zu überzeugten Botschaftern machen und den eigenen Kontrollverlust lustvoll gestalten. Aber das geht Chefredakteuren vermutlich ebenso.

Thomas Voigt
Thomas Voigt ist seit 2004 Head of Corporate Communications bei der weltweit tätigen Otto Group, Hamburg. Zuvor hat der 57-jährige die Medienbranche lange Jahre als Journalist beschrieben und später begleitet. Von 1989 bis 1997 war er Chefredakteur von W&V und HORIZONT. Ab 1997 bis 2004 betreute er als Chefredakteur das Unternehmermagazin Impulse und später das junge Wirtschaftsmagazin BIZZ. Der Handels- und Kommunikationsexperte wurde 2009 mit dem renommierten Preis „PR-Professional des Jahres“ des PR-Reports ausgezeichnet. Für einen frühen Beitrag über die kommenden Veränderungen in der Kommunikationslandschaft durch Social Media wurde er bereits 2010 von W&V zum „Zeichensetzer des Jahres“ gekürt.