Das 1. Quartal war dieses Jahr durch den Lockdown geprägt, während es im Vorjahr noch weitgehend in gewohnten Bahnen verlaufen war. Die Bevölkerung ist nach einem Jahr Pandemie im New Normal angekommen und hat neue Verhaltensweisen eingeübt. Ob Zeitschriften dabei profitieren und sich im New Normal etablieren konnten? Ja, durchaus.

Die folgende Betrachtung fokussiert die Sparten Abo und EV, weil nur sie durch den Lockdown zu keiner Zeit vollständig blockiert gewesen sind. Durch Lockdowns und Einschränkungen in der Mobilität waren im EV vor allem der Flughafen- und Bahnhofsbuchhandel massiv betroffen, während in anderen Geschäftsarten der Presseverkauf weitestgehend ungehindert weiterging.

Trend 1: „My Home is my Castle“

#WirBleibenZuhause, hieß eine vom Gesundheitsminister initiierte Aktion.  Zahlreiche Prominente unterstützten den Aufruf zur Kontaktbeschränkung, Millionen Menschen folgten ihm.  Homeoffice und Homeschooling wurden für viele zur neuen Normalität. Die von der Pandemie erzwungene Häuslichkeit gab dem IVW-Segment der Wohn- und Gartenzeitschriften einen kräftigen Impuls. Das Segment ist heterogen zusammengesetzt, es umfasst Architekturtitel ebenso wie klassische Wohnzeitschriften, Do-it-yourself-Titel, Garten- und Landmagazine. Architectural Digest erzielte den höchsten Prozentzuwachs und konnte die Abo- und EV-Auflage gegen Vorjahr auf aktuell 30.613 verdoppeln. Landlust, der bei weitem auflagenstärkste Titel im Segment, gewann über 100.000 Exemplare hinzu, was in diesem Fall einer Wachstumsrate von knapp 13 Prozent entsprach.

Trend 2: Newcomer am Herd

Betriebskantine und Uni-Mensa waren vielerorts monatelang geschlossen. Die neue Häuslichkeit kam dem Geschäft von Essenslieferanten wie Hello Fresh und Delivery Hero zugute. Einerseits. Andererseits begannen viele Menschen, sich Mahlzeiten jenseits von Dosenravioli und Spiegeleiern selbst zuzubereiten. Nicht wenigen mangelte es auf diesem Gebiet an Erfahrung oder Inspiration, sodass sie die Hilfe gedruckter Ratgeber in Anspruch nahmen. Die höchsten Zuwachsraten verzeichneten Essen & Trinken für jeden Tag mit knapp 28 Prozent und Einfach hausgemacht mit 21 Prozent. Diese beiden Titel lagen auch in absoluter Rechnung vorn. Zwei weitere Zeitschriften, deren Titelnamen auf unterschiedliche Konzepte schließen lassen, konnten ebenfalls zweistellig zulegen: Der Feinschmecker um rund 13 Prozent, Meine gute Landküche um 11 Prozent.

Trend 3: Offline-Entertainment für Kids

Viele Kinderzeitschriften liefen schon vor Corona erfolgreich. Die Schließung von Kita und Schulen während der Pandemie gab dem ganzen Segment einen zusätzlichen Schub. Denn die meisten Eltern sahen ihre Kinder lieber malen, basteln oder lesen als fernsehen. Insgesamt verkaufte das Segment im EV und Abo über 300.000 Exemplare oder gut ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Die Grafik unten zeigt die 25 wachstumsstärksten Titel, die ihre Auflage um acht Prozent oder mehr steigern konnten. Playmobil Pink erzielte mit rund 98 Prozent die höchste Wachstumsrate, gefolgt von Pferd & Co mit 63 Prozent und Playmobil Boys mit 60 Prozent. Den höchsten absoluten Zuwachs verbuchte Bibi & Tina mit über 22.000 Exemplaren.

Trend 4: Boomender Aktienhandel

Der Aktienbörse brachte die Pandemie ein Jahrhundertereignis: Der deutsche Leitindex DAX brach zunächst um 40 Prozent ein, um dann schneller als je zuvor eine dramatische Delle wieder auszubügeln. Diese Volatilität barg große Gewinnchancen und lockte Tausende junger Anleger erstmals an die Börse. Zumal viele ohnehin von Null- und Negativzinsen die Nase voll hatten. Gegenüber 2019 gibt es heute 2,7 Millionen Aktionäre mehr. Vier Börsentitel konnten zweistelliges Prozentwachstum verbuchen, drei klassische Wirtschaftsmagazine mit einem breiteren Themenspektrum – Capital, Wirtschaftswoche und manager magazin – partizipierten mit einstelligen Zuwachsraten am Aktienboom. Der Aktionär wuchs nicht nur prozentual, sondern auch in absoluter Rechnung am stärksten. Er setzt im Abo und EV fast 20.000 Exemplare mehr ab als vor Jahresfrist.

Trend 5: Individualsport

Der Mannschaftssport wurde im Amateurbereich durch die Pandemie weitgehend lahmgelegt. Gleichzeitig führte die Arbeit im Homeoffice zu Bewegungsmangel. Einen Ausgleich suchten viele Menschen in sportlichen Disziplinen, bei denen die Abstandsregel problemlos eingehalten werden kann. Fahrrad fahren wurde zudem in urbaner Umgebung auch zur Alternative des öffentlichen Nahverkehrs. Von einem beispiellosen Absatzboom bei zeitweiligen Lieferengpässen berichtet der Zweirad-Industrie-Verband. Dabei sind Fahrräder in technischer und preislicher Hinsicht anspruchsvoller geworden. Kein Wunder also, dass mit Mountainbike, Bike und Roadbike gleich drei einschlägige Magazine die Auflage steigern konnten. Den höchsten absoluten Zuwachs erzielte allerdings Yacht, der 14-täglich erscheinende Klassiker für Anhänger des Segelsports. Bei einer frischen Brise hatte das Virus keine Chance.

Wie geht es weiter? Der statistische Basiseffekt wird in den kommenden Quartalen abnehmen. Zudem könnten sich die mit der Häuslichkeit verbundenen Trends ein wenig zurückbilden, wenn virenbedingte Einschränkungen entfallen. Andere Trends werden sich womöglich verstärken und damit den Spezialzeitschriften weiteres Wachstumspotenzial bieten. So könnten private Haushalte aus ihrem Geldvermögen noch etliche Milliarden Euro von Sparbüchern, Giro- und Tagesgeldkonten in anspruchsvollere Geldanlagen umschichten. Damit Deutschland zum „Fahrradland“ wird, will der Bund bis 2023 rund 1,5 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.