Der Digital News Report vom Reuters Institute der Universität Oxford ist die wichtigste Untersuchungsreihe, wenn es um Nachrichtenjournalismus geht. Für 47 Länder untersucht die diesjährige Studie den Nachrichtenkonsum der Internetnutzer ab 18 Jahre. Das Hans-Bredow-Institut in Hamburg verantwortet und veröffentlicht die deutsche Teilstudie.

Phänomene wie Nachrichtenmüdigkeit und Nachrichtenvermeidung machen gegenwärtig vielen Journalisten und Medienmanagern zu schaffen. Insofern ist hilfreich, dass die Studie erstmals das User Needs Model operationalisiert. Das Modell unterscheidet verschiedene Erwartungen von Nachrichtenkonsumenten: das Bedürfnis nach Faktenkenntnis, das Streben nach Verständnis für Zusammenhänge, den Wunsch nach praktischem Nutzwert sowie emotionale Aspekte.

Zunächst wurden die Nutzer gefragt, wie wichtig ihnen verschiedene Aspekte sind, wenn sie an Nachrichten denken. Anschließend sollten sie bewerten, wie gut die Medien aus ihrer Sicht diesen Aspekten gerecht werden. Abb. 1 zeigt Ergebnisse für die deutsche Online-Bevölkerung.

Klassische Nachrichtenfunktionen sind am wichtigsten

Am wichtigsten ist den Menschen, dass Nachrichtenformate sie über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden halten. Rund drei Viertel (74 Prozent) nennen diese Antwortmöglichkeit. Aktualität gehört schließlich auch zu den klassischen Hauptmerkmalen eines jeden Nachrichtenüberblicks. 59 Prozent bekunden Zufriedenheit mit dem News Update; die Medien würden ihre Erwartung eher oder sogar sehr gut erfüllen, geben sie zu Protokoll. Über zwei Drittel (69 Prozent) erwarten von den Nachrichten die Vermittlung neuen Wissens über Themen und Ereignisse. Eine knappe Mehrheit von 53 Prozent sieht diese Erwartung als erfüllt an. Schließlich wünschen 66 Prozent, dass ihnen der Nachrichtenjournalismus verschiedene Perspektiven bietet. Hinsichtlich der Perspektivenvielfalt ist allerdings nur eine Minderheit von 43 Prozent mit den journalistischen Leistungen zufrieden. Dass Nachrichten ihre Beschäftigung mit gesellschaftlich wichtigen Fragen fördern, wünschen 58 Prozent, und für immerhin 45 Prozent wird diese Erwartung  erfüllt.

Erwartungen zum alltagspraktischen und emotionalen Nutzen der Nachrichten werden nur von Minderheiten genannt. Zudem ist die Kluft zwischen Erwartung und Leistungserfüllung hier zumeist gering. Insbesondere wünschen sich deutsche Internetnutzer keine unterhaltsameren Nachrichten. Allerdings fürchten offenbar viele ein Stimmungstief angesichts vieler Negativmeldungen: 42 Prozent möchten, dass Nachrichten sie optimistischer auf die Welt schauen lassen, nur ein Viertel sieht diesen Wunsch erfüllt. An diesem Befund kann der „konstruktive Journalismus“ ansetzen, indem er den Nachrichtenüberblick mit Hinweisen auf Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten anreichert.

Bei Kernaufgaben des Nachrichtenjournalismus gibt’s Verbesserungspotenzial

Aus den Rohdaten berechnen die Oxforder Forscher einen „User Needs Priority Index“: Die in Prozentpunkten gemessene Kluft zwischen Erwartung und Leistungserfüllung wird dabei gewichtet mit der Bedeutung (als Dezimalwert ausgedrückt), die den einzelnen Aspekten von Nachrichtenkonsumenten beigemessen wird. Abb. 2 zeigt das Resultat für Deutschland im Vergleich zum Durchschnittsergebnis für alle 47 erfassten Länder. Das höchste Verbesserungspotenzial gibt es hierzulande bei der Perspektivenvielfalt (Index 15,2). Aber auch bei den anderen beiden Kernaufgaben des Nachrichtenjournalismus (Index 11,1 bzw. 11,0) liegt die Performance deutscher  Nachrichten überraschend klar unter dem Länderdurchschnitt.

Medienunternehmen können daraus jeweils ihre eigenen Schlüsse ziehen, entsprechend ihren unterschiedlichen Aufgaben, Konzepten und Zielgruppen. Da öffentlich-rechtliche Sender hinsichtlich ihrer Finanzkraft und Reichweite eine exponierte Stellung im deutschen Mediensystem einnehmen, können die Daten wohl als weiterer Hinweis auf Reformbedarf gedeutet werden. Was speziell die Perspektivenvielfalt öffentlich-rechtlicher Nachrichtenformate angeht, identifizierte eine Studie der Universität Mainz kürzlich ein gewisses Optimierungspotenzial zugunsten „konservativer und marktliberaler Positionen“.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.