Medienmarken wie Spiegel und Wirtschaftswoche, F.A.Z. und Handelsblatt sind seit langem mit erfolgreichen digitalen Angeboten im Markt. Dennoch bieten sie nach wie vor auch die gedruckten Versionen an – trotz hoher Papier- und Zustellkosten. Dahinter steckt keine nostalgische Marotte der Verlagsleiter, sondern Marktkenntnis und ökonomisches Kalkül. Ohne Printangebote würde man Reichweitenverluste riskieren. Denn ein großer Teil der Leser präferiert für längere Texte die gedruckten Versionen.

Der Trend geht zum Bildschirmlesen. Allerdings recht langsam

Die Kernzielgruppe der meinungsbildenden Leitmedien und Wirtschaftspublikationen bilden die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung. Diese einflussreiche Zielgruppe wird traditionell durch die Leseranalyse Entscheidungsträger untersucht. Die aktuelle LAE 23 erfasst 3,1 Millionen Selbständige, Freiberufler, leitende Angestellte und höhere Beamte. Deren Vorlieben verteilen sich ungefähr paritätisch: 49 Prozent lesen längere Texte lieber auf Papier, 51 Prozent bevorzugen entweder einen Bildschirm, oder beide Oberflächen sind ihnen gleichermaßen recht.

Die Verlage sind also gut beraten, redaktionelle Inhalte mehrkanalig anzubieten. Und der Werbewirtschaft kann es nur recht sein, dass viele Entscheider digital und analog erreichbar sind. Gelten doch Werbebotschaften als besonders wirksam, die den Empfänger mehrkanalig ansprechen.

Im Zeitverlauf haben sich die Präferenzen zugunsten des Bildschirmlesens verschoben. Vor zehn Jahren führte Print noch mit 60:40, seither vollzog sich schrittweise der Wandel bis zur gegenwärtigen Parität (Grafik 1). Die Trendrichtung ist somit eindeutig. Das zukünftige Veränderungstempo ist hingegen unklar. Denn die bisherige Entwicklung wurde durch den Boom der Smartphones und mobilen IVW-Visits befeuert – durch Variable, die ihre Dynamik mittlerweile eingebüßt haben. Was bleibt, ist der Generationenwechsel.

Jüngere Entscheider sind Trendsetter. Doch Papier ist langlebiger als gedacht

Träger der Veränderung sind die Jüngeren. Entscheider bis 39 Jahre präferieren laut aktueller LAE nur zu knapp einem Drittel (32 Prozent) das Papier (Grafik 2). Gut zwei Drittel lesen lieber am Bildschirm (20 Prozent) oder sind indifferent (48 Prozent). Auch bei den 40- bis 49-Jährigen sind die Papierliebhaber mit einem Anteil von 45 Prozent in der Minderheit. Erst in der Altersgruppe ab 50 Jahre bilden sie mit 58 Prozent die Majorität.

Eines ist allerdings bemerkenswert: Wenn man die hohen Anteile der Indifferenten herausrechnet, weist bedrucktes Papier auch unter den Jüngeren mehr leidenschaftliche Liebhaber auf als der Screen. Das gilt, wohlgemerkt, nur für längere Texte. Die sind in LAE-Medien gewiss wichtiger als am Boulevard. Welche Beiträge als „lang“ gelten, unterliegt aber dem subjektiven Urteil – das erklärt vielleicht den hohen Anteil der Unentschiedenen.

Im Sach- und Fachbuchmarkt – dort wo die Texte richtig lang sind – ist das eBook hinter früheren Prognosen zurückgeblieben. Und bei den Periodika ist Papier langlebiger als mancher Experte einst glaubte. Zum Beispiel gab der Berater Frederic Filloux der New York Times 2017 den dringenden Rat, endlich die werktägliche Papierausgabe einzustellen. Die lebt immer noch.

Bei alledem steht außer Frage, dass die digitale Vernetzung unser Leben enorm erleichtert. Insofern stimmt nachdenklich, dass ausgerechnet die in der LAE erfassten Beamten unter allen Berufsgruppen am häufigsten – nämlich zu 67 Prozent – auf Print schwören. In der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen wünschte man sich jedenfalls weniger Papier, und andere Länder zeigen, wie es gehen kann.

Dr. Uwe Sander
Dr. Uwe Sander
Der gelernte Volkswirt arbeitete nach einigen Jahren in der empirischen Wirtschaftsforschung von 1984 bis 2014 in verschiedenen Funktionen beim Verlag Gruner+Jahr, u.a. für die Titel Capital, Stern, GEO und Art. Heute ist er freiberuflich als Autor und Berater tätig. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung des digitalen Journalismus.