Es ist ein bisschen wie eine Zeitreise zurück in die Nullerjahre: Der iPod war gerade auf den Markt gekommen, mit iTunes wurde die erste Musikplattform des digitalen Zeitalters gelauncht, auf der nicht nur erstmals neue Alben zum Download bereitstanden, sondern auch ein ganz neues Format: der Podcast, in dem jeder plötzlich seine Geschichte erzählen konnte.

Trotzdem sah es zunächst nach einem One-Hit-Wonder aus: Gut ein Jahrzehnt lang geriet der Podcast in Vergessenheit, weil neue Netzphänomene, allen voran Online-Videos und Social Media, die Aufmerksamkeit der Nutzer auf sich zogen.

Dann passierte etwas Außergewöhnliches: Trotz der größtmöglichen Dauerberieselung zwischen Netflix, Spotify, unzähligen Tweets, Posts, Snaps und Stories erlebte der Podcast in den vergangenen zwölf Monaten eine nie für möglich gehaltene Renaissance, weil er inzwischen mobil auf dem Smartphones bei der Bahnfahrt, im Auto oder beim Joggen konsumiert werden kann.

Podcast-Boom: 15 Prozent der Deutschen hört wöchentlich

Es ist ein Comeback in der Nische, das plötzlich den Mainstream erreicht hat: Podcasts sind so en vogue wie nie. Bemerkenswerte 15 Prozent der deutschen Bevölkerung hört wöchentlich das digitale Audioformat, fand der Vermarkter AS&S Radio in einer Studie heraus. „Aufgrund der geringen Eintrittsbarrieren erreichen Podcasts nicht nur junge technikaffine Nutzer, sondern auch die ältere Generation“, erklärt Barbara Evans, Geschäftsführerin Mediaplus, die steigende Beliebtheit.

Das hat auch die Medienbranche erkannt. Im deutschen Online-Journalismus ist das gesprochene Wort tatsächlich der Trend der Stunde: Immer mehr Verlagsformate sind inzwischen in den Charts von iTunes und Spotify zu finden.

SpOn-Chefredakteurin Barbara Hans: „Audio ist authentischer und unmittelbarer“

Spiegel Online wagte im vergangenen Jahr als erstes Leitmedium den (Neu-)Start eines politischen Podcasts namens „Stimmenfang“ – elf Jahre nach dem ersten Versuch namens „Urlaub für die Ohren“. Inzwischen bieten die Hamburger vier verschiedene Podcast-Formate an, die insgesamt bereits 4,5 Millionen Abrufe erzielt haben.

Für Spiegel Online-Chefredakteurin Barbara Hans sind Podcasts journalistisch deshalb so spannend, „weil man Geschichten ganz anders erzählen kann als in einem Text oder in einem Video. Audio ist authentischer und unmittelbarer“, wie Hans gegenüber dem Branchenportal MEEDIA erklärt.

Auch die Zeit, FAZ und SZ podcasten

Auch andere Medienmarken sind längst auf den Podcast-Zug aufgesprungen: Die Zeit bietet inzwischen ebenfalls mehrere Podcasts an: Das tägliche Nachrichtenformat „Was jetzt?“, einen Interview-Podcast, den Sex-Podcast „Ist das normal?“, den Berufs-Podcast „Frisch an die Arbeit“, den Wissens-Podcast „Woher weißt Du das“ und sogar ein Format über Kriminalfälle.

Und auch die Süddeutsche Zeitung und die F.A.Z. haben Ende vergangenen Jahres erste Podcasts gestartet: „Das Thema“ heißt das Format bei den Münchnern, das einmal in der Woche Hintergründe zu den wichtigsten Geschichten der Woche erläutert, „Einspruch, der die Woche neu verhandelt“, lautet das Pendant der Frankfurter.

Spiegel, Bunte & Co produzieren Inhalte für Amazon-Tochter Audible

Ob die intensiven Audio-Bemühungen am Ende über den Mehrwert für den Nutzer hinausgehen und monetarisiert werden können, bleibt abzuwarten. Der klassische Weg dürfte über Werbeeinblendungen oder gesponserte Podcasts („Presentership“) führen.

Eine anderen Erlösquelle stellt das Lizenzgeschäft dar. So bietet etwa die Amazon-Tochter Audible seit vergangenem Jahr zahlreiche neue Podcast-Formate exklusiv für ihre zahlenden Kunden an – darunter Interviews, Hintergrundgeschichten und Reportagen von Der Spiegel, brand eins, Bunte oder 11 Freunde.

„Wir kaufen die Inhalte, ähnlich wie ein TV-Sender, klassisch ein“, verrät Audibles Content-Chef Paul Huizing. Für Verlage sind Podcasts damit nicht nur ein zusätzliches Serviceangebot für ihre Leser, sondern gleichfalls ein interessantes, neues Geschäftsmodell.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.