Die Insel ist immer für eine Schlagzeile gut. „Die Queen ruft die Königsfamilie zum Krisenmeeting zusammen, da Prinz Harry und Herzogin Meghan mit ihrem Rückzugsplan viel Kritik ernten“, ist zu Jahresbeginn zu lesen. Oder etwa: „Die EU macht Boris Johnson klar: Wir können nicht nah beieinanderstehen, wenn wir uns bald trennen“, lautet ein Artikel zum Brexit.

Geschrieben stets im Daily Telegraph, der zweitauflagenstärksten Zeitung des Vereinigten Königreichs. Lange Zeit konnte die 1855 gegründete Tageszeitung den Spitzenplatz für sich beanspruchen, musste die Führung jedoch 2017 an die Times of London abgeben.

Profitabel in der Transformation

Im vergangenen Geschäftsjahr musste der Mutterkonzern, die Telegraph Media Group, zudem einen leichten Umsatzrückgang auf 278 Millionen Pfund hinnehmen. Angesichts des Paradigmenwechsels der Branche und des Konzernumbaus zu einem Leser-finanzierten Geschäftsmodell, das inzwischen mit den Abo-Erlösen die Werbeeinnahmen übersteigt, war das Jahr der Stagnation indes voll einkalkuliert.

„Wir arbeiten profitabel, während sich unser Geschäft wandelt. Das macht uns einzigartig“, stellt CEO Nick Hugh gegenüber dem Branchenportal Digiday mit Blick auf den operativen Gewinn von 8,1 Millionen Pfund heraus. Im laufenden Geschäftsjahr rechnet Hugh wieder mit anziehenden Gewinnen: „Wir erwarten, dass sich unsere Finanzergebnisse verbessern, während unsere Geschäftsstrategien aufgehen.“ Bis Ende 2020 sollen sich die operativen Gewinne des Telegraph gar verdoppeln.

Mehr Digital- als Printabonnenten

Optimistisch macht in erster Linie das anhaltende Digitalwachstum, das sich auch in der Verschiebung der Abonnentenzahlen manifestiert, die im vergangenen Jahr wieder auf 418.000 zugelegt haben. Ende 2019 konnte der Telegraph nach Zuwächsen von 81.000 neuen Internet-Abonnenten erstmals mehr Digital- als Printabonnenten ausweisen. In diesem Jahr sollen nochmals 100.000 neue Leser mit einer kostenpflichtigen Digitalmitgliedschaft hinzukommen.

Damit ist auch dem Telegraph, dessen Hauptquartier nur einen Steinwurf vom königlichen Buckingham Palace entfernt ist, als letzte britische Tageszeitung der Paradigmenwechsel in die Digitalära gelungen. Die Financial Times kann für sich bereits seit 2012 mehr Digitalabonnenten beanspruchen, während der Guardian und die Times in den vergangenen Jahren ähnliche Digitalerfolge vermeldeten.

Bereits fünf Millionen registrierte Nutzer 

Das Erfolgsrezept der konservativen Tageszeitung, die politisch dem neu gewählten Premierminister Boris Johnson nahesteht, der in den 90er-Jahren gar als Brüsseler Kolumnist für das Blatt schrieb, ist dem der Konkurrenz von der Pennington Street durchaus ähnlich.

Wie die Times hat sich auch der Telegraph für eine Guckloch-Strategie entschieden, nach der Nutzer zumindest einen minimalen Einblick in das Digitalangebot erhalten. Wer sich mit Angabe seiner Email-Adresse registriert, kann in der Woche einen Artikel kostenlos lesen – bei der Times sind es zwei. Regulär kostet das digitale Bezahlangebot 3 Pfund pro Woche, während bei der Times 26 Pfund im Monat fällig werden.

Das Interesse am Artikel-Appetizer ist enorm: Fast zeitgleich vermeldeten Times und Telegraph im vergangenen Herbst fünf Millionen registrierte Nutzer. Damit ist unter den britischen Traditionspostillen ein veritables Wettrennen im Web um den nächsten Meilenstein entbrannt: den Durchbruch durch die 10 Millionen-Nutzer-Marke. Der Telegraph will sie bis Ende 2023 erreichen.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.