Es ist einer der meistunterschätzten Social Media-Trends der letzten Jahre: Die Kommunikation findet immer öfter im Verborgenen statt. Nachdem in den Nullerjahren scheinbar nicht genug öffentlich gepostet werden konnte (Facebook-Chef Mark Zuckerberg kreierte seinerzeit das Bonmot „Privatsphäre ist tot“), ist in dieser Dekade vor allem bei Millennials und der Generation Z ein neuer Posting-Trend zu beobachten: Man bleibt lieber unter sich.

Träger der Entwicklung sind die boomenden Messenger-Dienste, allen voran die Facebook-Tochter WhatsApp, die es vor einem Jahr bereits auf 1,5 Milliarden Nutzer brachte. Eine der beliebtesten Anwendungen ist dabei der Gruppen-Chat, an dem bis zu 256 Personen teilnehmen können. Aufgrund der meist persönlichen Bekanntheit des Absenders werden Nachrichten weitaus öfter gelesen als bei einem öffentlichen Post in den sozialen Netzwerken.

Besorgniserregende Verbreitung von Fake News über WhatsApp

Und mehr noch: Die über WhatsApp verschlüsselt verschickten Nachrichten erscheinen als glaubwürdig, gerade weil sie von Bekannten oder einem Familienmitglied geteilt worden sind. Was in vielen Fällen ein Mem oder belangloses Video sein mag, kann im Fake News-Zeitalter aber außer Kontrolle geraten, wie die neue BBC-Studie „Beyond Fake News“  in mehreren Fällen dokumentiert hat.

Besonders in den Schwellenländern erfreut sich WhatsApp als Messenger hoher Beliebtheit – in Indien verzeichnet die Facebook-Tochter mehr als 200 Millionen aktive Nutzer, in Brasilien sind es bereits 120 Millionen. Die Nutzung erfolgt ohne Filter: Fotos und Textbausteine kann schließlich jeder verbreiten – und damit auch gezielte Falschnachrichten.

Machte WhatsApp Jair Bolsonaro zum Präsidenten?

So geschehen beim Wahlkampf in Brasilien, aus dem der rechtsextreme Kandidat Jair Bolsonaro als Überraschungssieger hervorging. Der 63-jährige Außenseiter verdankt seinen Wahlerfolg in erster Linie einer ausgeklügelten Social Media-Strategie, die auf maximale Verbreitung über WhatsApp setzte.

In über 2.000 WhatsApp-Gruppen streuten Bolsonaro-Unterstützer teilweise abstruseste Diffamierungen von politischen Gegnern in Form von fingierten Fotos, Videos oder Audiodateien, wie Der Spiegel und Cicero übereinstimmend berichten.

WhatsApp-Lynching in Indien

Eine noch andere Qualität besitzt Fake News-Verbreitung via WhatsApp in Indien, wie die BBC-Studie herausarbeitet. So sind im vergangenen Jahr im zweitbevölkerungsreichsten Land Asiens 30 Todesfälle auf Falschnachrichten über die Facebook-Tochter zurückzuführen („WhatsApp Lynchings“).  Ein ähnlicher Fall ereignete sich in Mexiko: In der Kleinstadt Acatlán wurden zwei Männer vom Mob verbrannt, weil sie fälschlicherweise auf WhatsApp als Kindesentführer beschuldigt wurden.

Notwendigkeit redaktioneller Einordnung von Nachrichten

Der alarmierende Trend beweist einmal mehr die Notwendigkeit redaktioneller Einordnung vom Tagesgeschehen. Social Media spielt als Nachrichtenquelle gerade für jüngere Nutzer eine immer größere Rolle. Wie der Digitalverband Bitkom im vergangenen Jahr in einer Studie herausgefunden hat, nutzen immerhin 57 Prozent der Befragten soziale Medien, um sich über die Nachrichtenlage zu informieren.

Als vertrauenswürdig gelten die sozialen Medien dennoch nicht: Wie PwC im vergangenen Jahr in einer Studie ermittelt hat, stuften Bundesbürger Social Media-Anbieter als noch weniger vertrauenswürdig als Foren ein – Printmedien genießen dagegen neben den Öffentlich-Rechtlichen das höchste Medienvertrauen in Deutschland.

Der Autor

Nils Jacobsen
Nils Jacobsen
Nils Jacobsen ist Wirtschaftsjournalist und Techreporter in Hamburg. Der studierte Medienwissenschaftler und Buchautor („Das Apple-Imperium“ / „Das Apple-Imperium 2.0“ ) berichtet seit 20 Jahren über die Entwicklung der Aktienmärkte und digitalen Wirtschaft: seit 2008 täglich für den Branchendienst MEEDIA, in einer wöchentlichen Kolumne für Yahoo Finanzen und in monatlichen Reportagen für die Marketingzeitschrift absatzwirtschaft. Jacobsen war zudem als Chefredakteur der Portale CURVED, clickfish, US FINANCE und YEALD aktiv.